1. Methoden / Theorien
Beschäftigt man sich
Schlachtendarstellungen römischer Historiker, so ergeben sich des Öfteren
Zweifel an der Glaubwürdigkeit. Die Schilderung des Geschehens entspricht
dem historischen Ablauf zumindest im Detail nicht (genau). Im literarischen
Kontext Typisches weist auf symbolische Intention hin. Viele Abweichungen
finden sich immer wieder in ähnlicher Weise und legen die Existenz relativ
homogener Topoi bei der Schlachtendarstellung nahe. Die einzelnen darstellerischen
Elemente fordern geradezu dazu heraus, deren Symbolkraft näher zu betrachten.
Dabei können literaturwissenschaftliche Arbeiten auf intendierte Symbolik
Hinweise geben und zwar vor Allem dort, wo Typisches erscheint. Zu berücksichtigen
wäre die griechische, speziell hellenistische Beeinflussung der römischen
Historiker, womit auf das Verhältnis von "griechischem" Medium und "römischer"
Botschaft eingegangen werden könnte. Um Schlachtbeschreibungen systematisch
auf den Symbolgehalt zu analysieren, sind selbstverständlich historische
Arbeiten, speziell zur Militärgeschichte notwendig, um die Historizität
einschätzen zu können. Ebenso lassen sich die eventuell auffindbaren Allgemeintendenzen
symbolischer Repräsentation sozialer Werte und Normen mit anderen Medien
vergleichend untersuchen, insbesondere würde sich die Nutzung archäologischer
Quellen unter dem Ansatz von Tonio Hölschers wertespezifischen Arbeiten
anbieten. Dazu müssen die aussagekräftigen Stellen zuerst in den Quellen
ausfindig gemacht und zusammengetragen werden. Zur Systematik soll auf
folgende Einzelelemente als mögliche Analysekriterien eingegangen werden,
die im Hinblick auf die intendierte Symbolik und resultierender Wertevermittlung
zusammengefasst werden können, woraus ein Index symbolischer Werte-Transportation
erstellt werden könnte:
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2. Forschungsstand
Speziell zum symbolischen
Gehalt römischer Schlachtendarstellungen scheint bislang keine Arbeit
vorzuliegen, die vergleichend mehrere Autoren untersucht - nicht einmal
eine allgemeine monographische Sammlung der literarischen Schlachten-Darstellungen.
Dafür sind natürlich die einzelnen Autoren, besonders Sallust, Caesar
und Livius ausgiebig untersucht worden, gelegentlich auch auf ihre Glaubwürdigkeit
und Wertevermittlung bis hin zu Fiktionalität . Analysen über Werte- und
Moralvorstellungen liefern momentan besonders aufschlussreich für die
behandelte Thematik die beiden von F.-H. Mutschler und M. Jehne geleiteten
Teilprojekte A1 und A2 des SFB 537, die den mos maiorum als Institution
untersuchen . Das römische Militärwesen an sich ist inzwischen ebenfalls
relativ gut erforscht . In der Archäologie ist seit Krierers "Sieg und
Niederlage. Untersuchungen Physiognomischer Phänomene in Kampfdarstellungen
der Römischen Plastik" von 1995 eine Monographie vorhanden, die jedoch
von der Archäologin und Hölscher-Schülerin Barbara Borg als tendenziös,
teilweise anachronistisch beobachtet und selektiv eingeschätzt wird. Jedoch
liegen im Hinblick auf "narrative Systematik", "Stil, Symbolik und Aussage"
einschlägige archäologische Arbeiten vor allem von Tonio Hölscher vor
, die auch für das gewählte Thema fruchtbar gemacht werden könnten.
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4. Erste Hypothesen
Schon bei Anfangsbetrachtungen
scheint sich mitunter bei Auffälligkeiten rein symbolische Repräsentation
einer der Haupttugenden des mos maiorum herauszustellen, der virtus, wie
sie sich im römischen Werkkanon ausgeprägt hat. Es handelt sich einmal
um Eigenwilligkeiten der Taktik, der totale Verzicht auf den Einsatz der
pila als Fernwaffen trotz Standartbewaffnung sowie hinsichtlich der Aufstellung
von Veteranen gerade im vordersten Treffen, zum anderen um die absolute
Unwahrscheinlichkeit ausschließlich frontaler Verwundung jedes einzelnen
Kämpfers beider Heere trotz Getümmel und Einkreisung innerhalb einer klassischen
Umfassungsschlacht. In den römischen historiographischen Schilderungen
kommt es gelegentlich vor, dass beim Ansturm auf das feindliche Heer beide
Wurfspeere, die pila nicht geworfen werden, sondern sofort zum Nahkampf
(comminus) mit dem Schwert übergegangen wird . Standarttaktik im zeitgenössischen
römischen Heer ist jedoch das Abwerfen des 1. pilum ca. 20m vor dem Feind,
des 2. pilum und das Zücken des gladium unmittelbar beim Übergang zum
Nahkampf. Mit der ersten Salve wird versucht, den Schild des Gegners durch
gewichts- und schwerpunktspezifische Beeinträchtigungen unbrauchbar zu
machen, indem das pilum mit durch den Aufprall verbogener Spitze im Schild
feststeckt, wenn er zur Abwehr eingesetzt wird. Mit der zweiten Salve
wird die nötige Verwirrung beim Gegner gestiftet, gegebenenfalls mit Verwundung
desselben, während der römische Soldat sein Schwert zieht und zum Nahkampf
anstürmt. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass ein im römischen Heer
disziplinierter Soldat unter Beibehaltung seiner Position innerhalb seiner
taktischen Einheit die Standartangriffstechnik außer Acht lässt und den
Vorteil ungenutzt lässt, den unmittelbaren Gegner mittels Speerwurf eines
Teils der Defensivwaffen berauben zu können, oder ihn gar noch vor dem
ersten Aufprall zu verwunden - vor allem, wenn noch sein eigenes Leben
auf dem Spiel steht. Hätte man die Speersalven tatsächlich nicht eingesetzt,
so hätte man die pila anderweitig loswerden müssen, um überhaupt ohne
extremste Beschränkung der Wendigkeit in entscheidender Situation im Nahkampf
aktiv werden zu können: Man hätte die pila umständlich in den Boden stecken
können, womit nachrückende Soldaten zum Slalom gezwungen worden wären
anstatt gerade im schnellen Vormarsch in geschlossener Linie. Oder man
hätte sie zur Seite werfen können, dann aber unter hoher Verletzungsgefahr
für die Kameraden. Die pila einfach zu Boden zu legen hätte sich zu Beeinträchtigung
des Vormarsches als rollendes Gefahrengut auswirken können, gegebenenfalls
mit wild zu Boden oder auf die Kameraden purzelnde Soldaten, was dann
sicher eher zu Slapstick à la Ovid passen würde als zur von eigentlich
allen Geschichtsschreibern angestrebter Ernsthaftigkeit des Historikers
im Sinne des mos maiorum. Auch der hierbei von den Schriftstellern zumeist
geäußerte erklärende Umstand itaque [...] repente [...], ut ist unter
realistischen Gesichtspunkten wenig hilfreich. Geht diesen Schilderungen
doch voraus, dass der Feldherr noch genügend Zeit findet, seine eigenen
Truppen entsprechend dem Profil der gegnerischen Schlachtreihe aufzustellen
und danach eine flammende Rede zu halten, wonach er selbst die Schlacht
eröffnet und erst dann die Heere gegeneinander vorrücken - eventuell dabei
auch noch ganz gemächlich . Angesichts des trennenden Zwischenraums auf
dem Schlachtfeld von bis zu einigen hundert Metern sowie der mit Helm,
Schwert, Dolch, Panzerung, Schild und Wurfspießen beschwerten Soldaten
ist nicht davon auszugehen, dass der Gegner schon gegenüber stand, bevor
man auch nur einen Speer hätte werfen können. Usu periti , römisch gedrillte
und erfahrene Soldaten, sind in der Lage ihr Lauftempo beim Angriff unter
Beibehaltung der Schlachtreihe zu variieren, um den Einsatz des Wurfspeeres
möglichst effektiv zu gestalten . Nur wenn keine physische Möglichkeit
zur Nutzung der Fernkampfwaffe besteht, scheint man mitunter zum Nahkampf
geradezu "gezwungen" zu sein. Es ist auch nicht anzunehmen, dass sich
ein tatsächliches überhöhtes Fair-Play-Verhalten speziell der römischen
Soldaten in den betreffenden Berichten als historisch gesichert nachweisen
ließe. Der Erwartungshaltung eines kulturell römisch geprägten Rezipienten
und seiner Leseerfahrung würde ein solches Verhalten jedoch keineswegs
zuwiderlaufen, zumindest nicht, wenn es sich um Kämpfer handelt, die dessen
soziologischer Vorstellung eines "würdigen Mannes" entsprechen. In der
Gegenüberstellung zur Taktik der Parther als "Barbaren" wird die ablehnende
Wahrnehmung des für "national-moralrömische" Vorstellungen unheroischen
Fernkampfes offenbar. Ein uir uere Romanus kämpft eben im Nahkampf und
kann selbst im bogenschießenden Paris der Ilias nur einen weichlichen
Feigling erblicken - saeuis certandum est comminus armis . Dass römische
Soldaten ihre Fernkampfwaffen in historiographischen Darstellungen nicht
nutzen, lässt ihre Mannhaftigkeit, die virtus, stärker hervortreten. Ähnlich
verhält es sich mit der angeblichen Feststellung, niemand hätte Wunden
im Rücken erhalten, alle Soldaten hätten ausschließlich auf der Vorderseite
Wunden erhalten. Sollte etwa niemand, nicht ein einziger geflohen, oder
bei der vorhandenen Umfassungsschlacht wenigstens vom zahlenmäßig überlegenen
Gegner umgangen und von Hinten niedergestochen oder wenigstens angegriffen
worden sein? Dies ist wohl kaum denkbar. Der Aussage der unrealistischen
Verwundungsprämisse "omnes tamen aduersis uolneribus" kommt mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit nur Symbolischer Wert zu, eine typische
"Virtus-Symbolik". So starke magische Fähigkeiten kann der abstrakte Wert
uirtus in der Realität bei keinem Heer hervorrufen, dass bei einer Umfassungsschlacht
die Tapferkeit das Umgangenwerden der Verlierer verhindert und überhaupt
niemand von hinten verwundet werden kann. Militärgeschichtliche Arbeiten
und Vergleiche zu anderen Historikern lassen diesen Eindruck nur noch
weiter verstärken. Darstellungselemente dieser Art spiegeln nicht den
historischen Ablauf wieder, sondern versuchen höchstwahrscheinlich die
virtus (Männlichkeit / Mannhaftigkeit / Tapferkeit) der Kämpfer entsprechend
traditional-römischer Mentalität auszudrücken. Die unhistorische Verhaltensweise
der Beteiligten würde dann als Symbol dienen, um die Charakterzeichnung
der beteiligten Gruppen und Einzelpersönlichkeiten hervorzuheben. Dabei
scheint nicht nur Übernahme und Weiterentwicklung griechischer Methoden
stattgefunden zu haben, sondern es ließen sich z.B. mit dieser Art relictis
pilis-Topos auch genuin römische Darstellungsmittel finden.
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