Stefan Gerlinger  

Mos et miles

Zu Verhaltensweisen in der Schlacht und dem Menschenbild dahinter.
Symbolische Repräsentation sozialer Werte und Normen römischer Schlachtendarstellungen

1. Methoden / Theorien

Beschäftigt man sich Schlachtendarstellungen römischer Historiker, so ergeben sich des Öfteren Zweifel an der Glaubwürdigkeit. Die Schilderung des Geschehens entspricht dem historischen Ablauf zumindest im Detail nicht (genau). Im literarischen Kontext Typisches weist auf symbolische Intention hin. Viele Abweichungen finden sich immer wieder in ähnlicher Weise und legen die Existenz relativ homogener Topoi bei der Schlachtendarstellung nahe. Die einzelnen darstellerischen Elemente fordern geradezu dazu heraus, deren Symbolkraft näher zu betrachten. Dabei können literaturwissenschaftliche Arbeiten auf intendierte Symbolik Hinweise geben und zwar vor Allem dort, wo Typisches erscheint. Zu berücksichtigen wäre die griechische, speziell hellenistische Beeinflussung der römischen Historiker, womit auf das Verhältnis von "griechischem" Medium und "römischer" Botschaft eingegangen werden könnte. Um Schlachtbeschreibungen systematisch auf den Symbolgehalt zu analysieren, sind selbstverständlich historische Arbeiten, speziell zur Militärgeschichte notwendig, um die Historizität einschätzen zu können. Ebenso lassen sich die eventuell auffindbaren Allgemeintendenzen symbolischer Repräsentation sozialer Werte und Normen mit anderen Medien vergleichend untersuchen, insbesondere würde sich die Nutzung archäologischer Quellen unter dem Ansatz von Tonio Hölschers wertespezifischen Arbeiten anbieten. Dazu müssen die aussagekräftigen Stellen zuerst in den Quellen ausfindig gemacht und zusammengetragen werden. Zur Systematik soll auf folgende Einzelelemente als mögliche Analysekriterien eingegangen werden, die im Hinblick auf die intendierte Symbolik und resultierender Wertevermittlung zusammengefasst werden können, woraus ein Index symbolischer Werte-Transportation erstellt werden könnte:

 

Zustand der Ausrüstung Kampfgeist / Einsatz Reaktion in der Bevölkerung auf den Ausgang (Unruhen ó Danksagungen etc.) in Rom und in der gegnerischen Ethnie
Aufstellung· Tapferkeitsäußerungen
Feldherrenrede· Verhalten während der Schlacht
Taktik Gruppen- / Einzeltugenden
· Standhalten / Beharrungsvermögen / Flucht Handlungsspielraum / Initiativenfähigkeit und unterschiedlichen Behandlung der Socii gegenüber den Romani
Verwundungen
Verhalten in Sieg und Niederlage/Plünderungen Gliederung nach dem unterschiedlichen diastratischen Normverhalten
(Senatoren - Plebs, Frauen, Sklaven, Provinziale)

 

Im Besonderen wird auf diaethnische und diastratische Besonderheiten und Gemeinsamkeiten der Schilderungen (hinsichtlich der "Volkszugehörigkeit" und der sozialen Schicht) eingegangen werden können. Dabei muss stets beachtet werden, inwieweit es sich um reine Abbildung der tatsächlichen Ereignisse handelt und wie weit die Wahrheit darstellerischen Mitteln mit Symbolcharakter unterzogen wurde, um eine beabsichtigte Wirkung zu erzielen. Das Verhältnis von Darstellungsmitteln und Ideologie sowie ein Eingehen auf eventuelle anschauungsprägende und verhaltenssteuernde Wirkung der von den einzelnen Historikern speziell gefärbten Darstellung und Vermittlung dieses mos maiorum aufgrund ihrer Schlachtendarstellung müsste zunächst auf den jeweiligen Autor angepasst werden und erst in einer vergleichenden Übersicht könnten dann "allgemein römische" Tendenzen im Sinne eines für breite Rezipientenschichten allgemein konstitutiven mos maiorum ausgemacht werden.

 

2. Forschungsstand

Speziell zum symbolischen Gehalt römischer Schlachtendarstellungen scheint bislang keine Arbeit vorzuliegen, die vergleichend mehrere Autoren untersucht - nicht einmal eine allgemeine monographische Sammlung der literarischen Schlachten-Darstellungen. Dafür sind natürlich die einzelnen Autoren, besonders Sallust, Caesar und Livius ausgiebig untersucht worden, gelegentlich auch auf ihre Glaubwürdigkeit und Wertevermittlung bis hin zu Fiktionalität . Analysen über Werte- und Moralvorstellungen liefern momentan besonders aufschlussreich für die behandelte Thematik die beiden von F.-H. Mutschler und M. Jehne geleiteten Teilprojekte A1 und A2 des SFB 537, die den mos maiorum als Institution untersuchen . Das römische Militärwesen an sich ist inzwischen ebenfalls relativ gut erforscht . In der Archäologie ist seit Krierers "Sieg und Niederlage. Untersuchungen Physiognomischer Phänomene in Kampfdarstellungen der Römischen Plastik" von 1995 eine Monographie vorhanden, die jedoch von der Archäologin und Hölscher-Schülerin Barbara Borg als tendenziös, teilweise anachronistisch beobachtet und selektiv eingeschätzt wird. Jedoch liegen im Hinblick auf "narrative Systematik", "Stil, Symbolik und Aussage" einschlägige archäologische Arbeiten vor allem von Tonio Hölscher vor , die auch für das gewählte Thema fruchtbar gemacht werden könnten.

 

3. Quellen und Materialgrundlage

Das Dissertationsvorhaben wird sich im Kern auf die literarische Überlieferung römischer Geschichtsschreiber stützen, insbesondere Sallust, Livius, Caesar und Tacitus, und ausgewählte griechische Vorbilder sowie archäologische Quellen heranziehen. Im Zentrum der Untersuchung sollen weniger die Schilderungen heroischer Zweikämpfe der mythischen und archaischen Schlachten, sondern des taktisch gegliederten Heeres innerhalb historisch fassbarer Ereignisse stehen.

 

4. Erste Hypothesen

Schon bei Anfangsbetrachtungen scheint sich mitunter bei Auffälligkeiten rein symbolische Repräsentation einer der Haupttugenden des mos maiorum herauszustellen, der virtus, wie sie sich im römischen Werkkanon ausgeprägt hat. Es handelt sich einmal um Eigenwilligkeiten der Taktik, der totale Verzicht auf den Einsatz der pila als Fernwaffen trotz Standartbewaffnung sowie hinsichtlich der Aufstellung von Veteranen gerade im vordersten Treffen, zum anderen um die absolute Unwahrscheinlichkeit ausschließlich frontaler Verwundung jedes einzelnen Kämpfers beider Heere trotz Getümmel und Einkreisung innerhalb einer klassischen Umfassungsschlacht. In den römischen historiographischen Schilderungen kommt es gelegentlich vor, dass beim Ansturm auf das feindliche Heer beide Wurfspeere, die pila nicht geworfen werden, sondern sofort zum Nahkampf (comminus) mit dem Schwert übergegangen wird . Standarttaktik im zeitgenössischen römischen Heer ist jedoch das Abwerfen des 1. pilum ca. 20m vor dem Feind, des 2. pilum und das Zücken des gladium unmittelbar beim Übergang zum Nahkampf. Mit der ersten Salve wird versucht, den Schild des Gegners durch gewichts- und schwerpunktspezifische Beeinträchtigungen unbrauchbar zu machen, indem das pilum mit durch den Aufprall verbogener Spitze im Schild feststeckt, wenn er zur Abwehr eingesetzt wird. Mit der zweiten Salve wird die nötige Verwirrung beim Gegner gestiftet, gegebenenfalls mit Verwundung desselben, während der römische Soldat sein Schwert zieht und zum Nahkampf anstürmt. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass ein im römischen Heer disziplinierter Soldat unter Beibehaltung seiner Position innerhalb seiner taktischen Einheit die Standartangriffstechnik außer Acht lässt und den Vorteil ungenutzt lässt, den unmittelbaren Gegner mittels Speerwurf eines Teils der Defensivwaffen berauben zu können, oder ihn gar noch vor dem ersten Aufprall zu verwunden - vor allem, wenn noch sein eigenes Leben auf dem Spiel steht. Hätte man die Speersalven tatsächlich nicht eingesetzt, so hätte man die pila anderweitig loswerden müssen, um überhaupt ohne extremste Beschränkung der Wendigkeit in entscheidender Situation im Nahkampf aktiv werden zu können: Man hätte die pila umständlich in den Boden stecken können, womit nachrückende Soldaten zum Slalom gezwungen worden wären anstatt gerade im schnellen Vormarsch in geschlossener Linie. Oder man hätte sie zur Seite werfen können, dann aber unter hoher Verletzungsgefahr für die Kameraden. Die pila einfach zu Boden zu legen hätte sich zu Beeinträchtigung des Vormarsches als rollendes Gefahrengut auswirken können, gegebenenfalls mit wild zu Boden oder auf die Kameraden purzelnde Soldaten, was dann sicher eher zu Slapstick à la Ovid passen würde als zur von eigentlich allen Geschichtsschreibern angestrebter Ernsthaftigkeit des Historikers im Sinne des mos maiorum. Auch der hierbei von den Schriftstellern zumeist geäußerte erklärende Umstand itaque [...] repente [...], ut ist unter realistischen Gesichtspunkten wenig hilfreich. Geht diesen Schilderungen doch voraus, dass der Feldherr noch genügend Zeit findet, seine eigenen Truppen entsprechend dem Profil der gegnerischen Schlachtreihe aufzustellen und danach eine flammende Rede zu halten, wonach er selbst die Schlacht eröffnet und erst dann die Heere gegeneinander vorrücken - eventuell dabei auch noch ganz gemächlich . Angesichts des trennenden Zwischenraums auf dem Schlachtfeld von bis zu einigen hundert Metern sowie der mit Helm, Schwert, Dolch, Panzerung, Schild und Wurfspießen beschwerten Soldaten ist nicht davon auszugehen, dass der Gegner schon gegenüber stand, bevor man auch nur einen Speer hätte werfen können. Usu periti , römisch gedrillte und erfahrene Soldaten, sind in der Lage ihr Lauftempo beim Angriff unter Beibehaltung der Schlachtreihe zu variieren, um den Einsatz des Wurfspeeres möglichst effektiv zu gestalten . Nur wenn keine physische Möglichkeit zur Nutzung der Fernkampfwaffe besteht, scheint man mitunter zum Nahkampf geradezu "gezwungen" zu sein. Es ist auch nicht anzunehmen, dass sich ein tatsächliches überhöhtes Fair-Play-Verhalten speziell der römischen Soldaten in den betreffenden Berichten als historisch gesichert nachweisen ließe. Der Erwartungshaltung eines kulturell römisch geprägten Rezipienten und seiner Leseerfahrung würde ein solches Verhalten jedoch keineswegs zuwiderlaufen, zumindest nicht, wenn es sich um Kämpfer handelt, die dessen soziologischer Vorstellung eines "würdigen Mannes" entsprechen. In der Gegenüberstellung zur Taktik der Parther als "Barbaren" wird die ablehnende Wahrnehmung des für "national-moralrömische" Vorstellungen unheroischen Fernkampfes offenbar. Ein uir uere Romanus kämpft eben im Nahkampf und kann selbst im bogenschießenden Paris der Ilias nur einen weichlichen Feigling erblicken - saeuis certandum est comminus armis . Dass römische Soldaten ihre Fernkampfwaffen in historiographischen Darstellungen nicht nutzen, lässt ihre Mannhaftigkeit, die virtus, stärker hervortreten. Ähnlich verhält es sich mit der angeblichen Feststellung, niemand hätte Wunden im Rücken erhalten, alle Soldaten hätten ausschließlich auf der Vorderseite Wunden erhalten. Sollte etwa niemand, nicht ein einziger geflohen, oder bei der vorhandenen Umfassungsschlacht wenigstens vom zahlenmäßig überlegenen Gegner umgangen und von Hinten niedergestochen oder wenigstens angegriffen worden sein? Dies ist wohl kaum denkbar. Der Aussage der unrealistischen Verwundungsprämisse "omnes tamen aduersis uolneribus" kommt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur Symbolischer Wert zu, eine typische "Virtus-Symbolik". So starke magische Fähigkeiten kann der abstrakte Wert uirtus in der Realität bei keinem Heer hervorrufen, dass bei einer Umfassungsschlacht die Tapferkeit das Umgangenwerden der Verlierer verhindert und überhaupt niemand von hinten verwundet werden kann. Militärgeschichtliche Arbeiten und Vergleiche zu anderen Historikern lassen diesen Eindruck nur noch weiter verstärken. Darstellungselemente dieser Art spiegeln nicht den historischen Ablauf wieder, sondern versuchen höchstwahrscheinlich die virtus (Männlichkeit / Mannhaftigkeit / Tapferkeit) der Kämpfer entsprechend traditional-römischer Mentalität auszudrücken. Die unhistorische Verhaltensweise der Beteiligten würde dann als Symbol dienen, um die Charakterzeichnung der beteiligten Gruppen und Einzelpersönlichkeiten hervorzuheben. Dabei scheint nicht nur Übernahme und Weiterentwicklung griechischer Methoden stattgefunden zu haben, sondern es ließen sich z.B. mit dieser Art relictis pilis-Topos auch genuin römische Darstellungsmittel finden.

 

5. Bezug zum IGK

Durch die Zielsetzung des Projekts, über Auffälligkeiten der Schlachten-Darstellungen die intendierte Symbolik als Repräsentation sozialer Werte und Normen herauszuarbeiten, ordnet sich das Dissertationsvorhaben eng in den Betreuungsbereich I des IGK 625, "Die symbolische Repräsentation sozialer Werte und Normen in römischer Kunst und Literatur" ein und soll so "zur Klärung von deren Rolle bei der Stabilisierung oder auch der Veränderung und Erweiterung des als mos maiorum überkommenen Komplexes sozialer Werte und Normen beitragen" . Methodische Verknüpfungen ergeben sich aber ebenso zum Betreuungsbereich A, "Die Grundlagen politischer Verhaltensregulierung in Rom: Texte, Tradition und symbolisches Handeln".