Sara Galbaatar  

Die Rolle der Verfassung im Prozess der politischen Systemtransformation

Skizze des Magisterarbeitsprojektes

 

I. Grundlegung der Fragestellung

"Mit Verfassungen ist fast immer die Hoffnung auf eine gute und gerechte politische Ordnung verbunden" schrieb Hans Vorländer . Dieses Argument noch weiter zu führen, sind Verfassungen oft mit Systemtransformationen verbunden. Denn eine Verfassung oft aus der Legitimitätskrise des existierenden Regimes und im Prozess der politischen Systemtransformation entsteht. Die Zusammenfallen der Demokratisierungs- und Konstitutionalismuswellen des 20. Jahrhunderts waren keineswegs zufällig. Insofern hat die annährend mit dem Ende der autoritären Regime in Portugal angefangene dritte Welle mehr als die Hälfte von den ungefähr 170 heute existierenden, geschriebenen Verfassungen ergeben (Vorländer 2002). Darüber hinaus "konnte sich das konstitutionelle System…als ein belastbares und stabilitätsgenerierendes Modell im Transformationsprozess von autoritär-diktatorischen zu liberal-demokratischen Systemen erweisen" . Vor diesem Hintergrund soll die Rolle der Verfassung im Prozess der politischen Systemtransformation der Gegenstand dieser Untersuchung werden. Entscheidend sind dabei die folgende Fragen: Wie entstehen Systemtransformationen? In welcher Transformationsphase und unter welchen Umständen entstehen Verfassungen? Welche Institutionen sollen durch eine Verfassung etabliert werden? Wie schafft eine Verfassung Legitimitätsglauben der Bürger an sich?

 

II. Theorien und Hypothesen im Bezug zum EGK

Dieser Untersuchung wird methodisch im Rahmen der institutionellen Analyse, wie die schon für SFB 537 entwickelt wurde, durchgeführt. Im Gegenstand der Erkenntnisinteressen steht die Verfassung als institutionelle Ordnung, die in ihrer sinnstiftenden symbolischen Dimension eine bedeutende Rolle im Prozess der Systemtransformation spielt. Wie oben erwähnt ist der Ausgangspunkt dieser Untersuchung, dass eine Verfassung oft aus der Legitimitätskrise des existierenden Regimes und im Prozess der Systemtransformation entsteht. Die Stabilität des politischen Systems kann als der Schlüsselbegriff der Systemtransformation betrachtet werden (Huntington 1991; Merkel 1999). Eine Legitimitätskrise findet statt, wenn das politische System instabil wird. Unter welchen Umständen aber wird das System instabil? Um diese Frage zu beantworten, sollen zuerst die Typen der politischen Systeme definiert werden. Merkel (1999) unterscheidet zwischen drei Idealtypen: demokratischen, autoritären und totalitären Systemen aufgrund von sechs folgenden Klassifikationskriterien der "politischen Herrschaft" nach Hannah Arendt (1955), Löwenstein (1969) und Brunner (1979): 1. Herrschaftslegitimation 2. Herrschaftszugang 3. Herrschaftsmonopol 4. Herrschaftsstruktur 5. Herrschaftsanspruch 6. Herrschaftsweise Weiterhin erkennt er elf unterschiedliche autoritäre und drei totalitäre Systeme. Dennoch ist die Trennlinie zwischen autoritären und totalitären Systemen undeutlicher als zwischen demokratischen und autoritären Systemen. Aus diesem Grund können all Systeme nur in zwei Grundtypen, nämlich demokratischen und autokratischen Systemen geteilt werden. Da in Demokratie ein durch allgemeiner und freier Wahlen ermöglichte Feedback-Mechanismus stattfindet, bietet dies ein kontinuierliches Lernprozess. Mit den Wahlen zeigen die Regierte ihre Beurteilung der Regierungsleistung auf, und dadurch motivieren sie die Regierende um flexibel, adaptionsfähig, und innovative zu sein. Außerdem ist es der Verhinderung von der Legitimitätskrise höchst bedeutend einen Konsens bezüglich den grundlegenden demokratischen Spielregeln unter relevanten politischen Eliten zu erreichen. Darüber hinaus weil eine demokratische Regierung sich nicht all Lebensbereiche (Wirtschaft, Recht und Wissenschaft u.a.) der Regierten monopolisieren zu berührt, muss sie gegenüber autokratischen Systemen ihre grundsätzliche Form auch dann nicht ändern, wenn wesentliche Wandlungsprozesse in den wirtschaftlichen und sozialen Domänen stattfinden (Linz 1978). Im Hinblick auf autokratischen Systemen lässt sich ihrer endogene Destabilisierungspotential aufgrund ihren partizipationsfeindlichen und unflexibeln Charakter sowie ihrer umfangreichen Steuerung solcher Lebenssphäre der Regierten wie Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur u.a. Dieses Potential kann zur Legitimitätskrise des Systems auf normativen und leistungsbezogenen Ebenen führen. Auf der normativen Legitimationsebene entstand die Legitimitätskrise des marxistisch-leninistischen zukunftsorientierten Systems aus seiner kurzfristigen Fähigkeit zur Mobilisierung der Bürger. Dennoch hat es auch auf leistungsbezogener Ebene durch seine Inkompetenz für versprochene Lieferung der wirtschaftlichen Prosperität das Vertrauen der Bürger verloren. Der politische Systemtransformationsprozess kann in den folgenden Transformationsphasen geteilt werden: 1. Ende des autokratischen Systems 2. Demokratisierung 3. Konsolidierung der neuen Demokratie Am Anfang der dritten Transformationsphase findet die Verfassungsgebung statt. Zeitlich entsteht sie am Anfang der Konsolidierungsphase entsprechend ihrem instrumentellen Charakter als Spielregelwerk des demokratischen Prozesses (Gebhardt 2001). Der instrumentelle Charakter der Verfassung lässt sich durch ihre konstituierende Funktion ausdrücken. Eine Verfassung konstituiert die Institutionen und Verfahren des [demokratischen] Systems, die den politischen Prozess regulieren. Durch Gliederung der staatlichen Gewalten in den Bereichen von "Legislative" (gesetzgebender Gewalt), "Exekutive" (ausführender Gewalt) und "Judikative" (rechtsprechender Gewalt) prägt die Verfassung in erheblichem Maße die Konsolidierungschancen. Die Voraussetzung für die dauerhafte politische Ordnung, die ihre Legitimität von einer Verfassung verleihen wird, ist aber die Verfassung, die in den Augen der Bürger selbst legitim ist. Hier drückt sich der symbolische Charakter der Verfassung aus, indem ihre "ordnungs-politische Effektivität…als Symbol und als Instrument von den spezifischen Verhaltens-, Denk- und Bewusstseinsmustern einer demokratisierten politischen Kultur abhängig" wird. In diesem Zusammenhang sollen m.E. auch spezifische regional-kontinentale Eigenschaften gegebene politische Kulturen beeinflussen. Untersuchung dieser Hypothese ist z.Z. noch in der angehenden Etappe.

 

Ausgewählte Literatur

Böckenförde, Ernst (1994): Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes - ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts. In: Preuße, Ulrich K. (Hrsg.)(1994): Zum Begriff der Verfassung. Die Ordnung des Politischen. Frankfurt/M: Fischer

Elster, Jon (1994): Die Schaffung von Verfassungen: Analyse der allgemeinen Grundlagen. In: Preuße, Ulrich K. (Hrsg.)(1994): Zum Begriff der Verfassung. Die Ordnung des Politischen. Frankfurt/M: Fischer

Gebhardt, Jürgen (2001): Verfassung und Symbolizität. In: Melville, Gert (Hrsg.)(2001): Institutionalität und Symbolisierung. Verstetigungen kultureller Ordnungsmuster in Vergangenheit und Gegenwart. Wien u.a.: Böhlau Verlag

Huntington, Samuel P. (1991): The Third Wave. Democratization in the Late Twentieth Century. New Haven/Oklahoma: University of Oklahoma Press

Linz, Juan J. (1978): The Breakdown of Democratic Regimes. Crisis Breakdown and Reequilibration. In: Linz, Juan J./Stepan, Alfred (Hrsg.)(1978): The Breakdown of Democratic Regimes. Baltimore

Merkel, Wolfgang (1999): Systemtransformation: Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung. Opladen: Leske+Budrich

Preuß, Ulrich K.(1994): Der Begriff der Verfassung und ihre Beziehung zur Politik. In: Preuß, Ulrich K. (Hrsg.)(1994): Zum Begriff der Verfassung. Die Ordnung des Politischen. Frankfurt/M: Fischer

Vorländer, Hans (1999): Die Verfassung Idee und Geschichte. München: Beck

Vorländer, Hans (2002): Integration durch Verfassung? Die symbolische Bedeutung der Verfassung im politischen Integrationsprozess. In: Vorländer, Hans (Hrsg.) (2002): Integration durch Verfassung. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag