Lorraine Declety  
Die orientalisierende Architektur in Frankreich und Deutschland im 19. Jahrhundert

 

Bemerkungen zum Forschungsstand

Kunsthistoriker haben erst seit 20 Jahren angefangen, sich mit Orientalismus zu beschäftigen. Die Gründe liegen an einem allgemeinen Desinteresse an der Architektur des 19. Jahrhundert, und vor allem an was aus dem Historismus entstanden ist. Die Abriss und der Verfall den Gebäuden haben auch die Verantwortung dafür. Aber, anhand der Aufwertung des Historismus und der von Edward Said angefangenen Kritik des Orientalismus (das Orientalismus ist von ihm verstanden, als der Ausdruck der Aneignung und der Herrschaft des Orients) vermehren sich die Studien über dieses Stil. Die meisten bestehen in globalisierende Aufsätze, deren Zugang lediglich beschreibend ist oder in monographischen Untersuchung. Die Synagogen und die Weltausstellungen sind Sonderfällen dann sie haben die Aufmerksamkeit der Forschung seit lange her erweckt. Dagegen, wurde keiner Vergleich zwischen Frankreich und Deutschland geschrieben, der präziser und systematischer untersuchen würde, wie dieses Stil sich durch verschiedenen Institutionen (z. B. Bauakademie, Architektenverein) anerkennt und verbreitet läßt.

 

Probleme und Fragen

Das bedeutendeste Problem besteht im Vergleich. Deutschland und Frankreich haben jeweils eine hoch bewegte politische Geschichte und unterscheiden sich durch gegensätzliche Regierungsformen: ist es also möglich und sinnvoll, vergleichen zu wollen wie sich der Orientalismus in einem zentralisierten Staat und in einer fragmentierten politischen Ordnung entwickelt hat? Außerdem hat man dieses Stil unter Friedrich Wilhelm IV. ein ganz andere Gestalt verliehen, als unter Ludwig II. von Bayern. Dennoch schließt das Fehlen der politischen Einheit nicht ein zunehmendes Selbstverständnis als kulturelle Gemeinschaft aus. Das andere wichtige Problem liegt im Orientalismus. Dieser Stil war zwar eine Mode, die ein Jahrhundert währte, aber er hat die architektonische Landschaft in beiden Ländern nicht tiefgreifend geprägt. Außerdem schlug er sich in vielfältigen und manchmal widersprüchlichen Baugattungen nieder (z. B. Industriearchitektur und Vergnügungsarchitektur). Diesen Anmerkungen rufen folgende Frage hervor: - In wie weit kann der Orientalismus als ein Zeichen der sozialen und kulturellen Veränderungen im 19. Jahrhundert verstanden werden? - In wie weit hat sich der Orientalismus selber geändert? Hat er neue Forme entwickelt? Können eventuelle stilistische Änderungen als symbolische Änderungen erklärt werden, in denen sich die Entwicklung architektonischer Programme und ihrer Auftraggeber widerspiegeln? - Spielt die Mode des Orientalismus eine bedeutende Rolle für die Selbstrepräsentation der Gesellschaft? Hier ist der Vergleich insofern besonders sinnvoll, da das Bürgertum sich in Frankreich viel früher die Repräsentationsmodelle der höfischen Gesellschaft angeeignet hat, als in Deutschland. - Kann man den Orientalismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Instrument unter anderen betrachten, welches das Bürgertum gebraucht hat, um seine Werte und Ansprüche gegen einer aristokratischen Gesellschaft und einer autoritären Macht zu behaupten? Stand dieser Stil als Bedeutungsträger in einem Spannungsverhältnis zu einer offiziellen und dominanten Ikonographie oder handelt es sich lediglich um eine Ergänzung?

 

Materialgrundlage bzw. Quellen

Die grundlegende Quellen für meine Arbeit sind folgende: Kataster, Baugenehmigungen, sowie Baupläne, die sich in den Stadtarchiven befinden. In Deutschland wird die Forschung jedoch erschwert durch die Zestörung vieler relevanter Gebäude sowie der Archive während des zweiten Weltkrieges. Außerdem kommen hinzu die Archive der Welt- und Gewerbeausstellungen in Frankreich, Deutschland und Wien (die Weltausstellung 1873), das Archiv der École des Beaux-Arts in Paris und die Archive der wichtigsten Bau- und Kunstakademien. Zu den gedruckten Quellen gehört auch die Gattung des Reiseberichtes, die Aufsätze über die islamische Architektur, die theoretischen Schriften über die allgemeine Achitekturgeschichte. Zuletzt besitzen auch die Fachzeitschriften eine einflussreiche Rolle, weil sie gleichzeitig in Frankreich und in Deutschland Träger der Veröffentlichung alter oder zeitgenossischer Bauten sowie ein effizientes Verbreitungsmedium dieser Mode waren. Dies wird belegt durch das Beispiel der Allgemeinen Bauzeitung aus Wien und deren Einfluss in nahezu allen deutschsprachigen Staaten.

 

Methoden und Theorien

Um die gestellte Frage zu beantworten, muss zuerst der Rahmen meiner Studie bestimmt werden: Was meint der Begriff des Orients im 19. Jahrhundert? Enthält er zwei verschiedenen Wirklichkeiten und Bedeutungen in Frankreich und in Deutschland? Es müssen so zunächst die Modalitäten der Mediatisierung der islamischen Architektur so wie die Urteile der Zeitgenossen untersucht werden, um gewisse dauerhafte Stereotypen über diese Architektur erklären zu können. Auf dieser Grundlage muss weiter gefragt werden, inwiefern sich die Architekten über die Vermittlung von Zeitschriften und Versammlungen zum Verfechter oder im Gegenteil zum Kritiker der dominanten Deutungen machen. Die Untersuchung dieser Zeitschriften und Versammlungsdokumente, soll dazu beitragen, die Mannigfaltigkeit des Phänomens "Orientalismus" zur Geltung zu bringen. Der Orientalismus entwickelt sich also in einem langen Rezeptionsprozess, angefangen von der Kenntnis islamischen Architekten über deren Verbreitung bis hin zu ihrer schließlichen Assimilation. Die Errichtung von Gebäuden im orientalisierenden Stil steht daher erst am Ende dieses Prozesses. Was Frankreich angeht, wäre es interessant zu beobachten, wie in einer weiteren Entwicklungsstufe der Staat sich dieses Repräsentationssystem aneignet, es rationalisiert und objektiviert. Dies wird insbesondere deutlich und sichtbar, wenn man die Pavillon der Weltausstellungen und die Gebäude der Kolonialadministration untersucht. Der theoretische Rahmen - Der Orientalismus wird hier als Medium einer bestimmten, subjektiven und okzidentaliserten Repräsentation des Orients betrachtet. Er beruht auf einer Idee der Vorstellung des Anderen, des Orientalen, als das Negativ der okzidentalen Zivilisation. Der Andere wird so zum Spiegel der eigenen Ängste und Fantasmen (E. Said); - Rekonstruktion der Identität des Orients durch den Okzident zur Rechtfertigung der politischen und kulturellen Herrschaft; der Orient wird auf diese Weise zu einer archaisierten, durch ungerechte Gesetze geprägten Welt, die der Okzident in seiner Rolle als Missionar und Zivilisator zur Modernität hinführen muss. Dieser Diskurs findet sich insbesondere in Frankreich, und dort vor allem in den orientalistischen Studien. Auch die Pavillons der Weltaustellung, durch welche die Kolonien representiert werden, spiegeln diesen pädagogischen Diskurs. - Bedeutung der Funktion der Architektur als Medium; dies gilt umso mehr, als es sich bei der orientalisierenden Architektur um eine äußerst auffällige Stilform handelt. Ihre Formen, ihre Motive und ihre Farbigkeit unterscheiden sie von der traditionellen architektonischen Stadtlandschaft. Es handelt sich daher um einen Stil, der die symbolische Funktion der Architektur gut erfüllt. Die von ihr getragenen Referenzen zeichenen sich durch einen hohen Wiedererkennungswert aus und sind daher im kollektiven Imaginär leicht zu integrieren. -Theorie der Öffentlichkeit: Die Entwicklung des Orientalismus kann vor dem Hintergrund der Entwicklung moderner Öffentlichkeit verstanden werden: es handelt sich dabei um den Übergang von einer der höfischen Gesellschaft und dem politischen Souverän verhafteten Stilform zu einem Stil, der auch in einer weiten Öffentlichkeit Verbreitung findet. Diese Verbreitung wird vermittelt durch die Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft im 19. Jh. (Zeitungen, (Reise-)Litteratur, wissenschaftliche Gesellschaften (z.B. geographische Gesellschaft, Architekten- und Ingenieursvereine).

 

Stand meiner Forschung

Bislang konnte bereits eine Typologie der zu untersuchenden Gebäude in Deutschland und Frankreich erstellt werden: 1) Herrschaftsarchitektur: religiöse Gebäude in Frankreich; Ausstellungspavillons anläßlich von Weltausstellungen, Gewerbeausstellungen und Kolonialausstellungen; Wichtig ist unterdessen die Unterscheidung von sichtbaren Gebäuden auf der einen Seite und den für die ausschließliche Benutzung durch den Herrscher vorbehaltenen Gebäuden andererseits, wie der Palast der Wilhelma, der Pavillon Ludwigs von Bayern; Diese Unterscheidung galt zunächst für Frankreich an der Jahrundertwende um 1800, später jedoch insbesondere für Deutschland; 2) Private Auftraggeber mit öffentlicher Funktion der Gebäude: es handelt sich dabei um Gebäude mit hoher öffentlicher Wahrnehmbarkeit und Sichtbarkeit, wie beispielsweise die Baugattung der Vergnügungsarchitektur (Cafés, Bäder), der Synagogenbau, sowie die Industriearchitektur. 3) Private Architektur für den privaten Gebrauch: letztere Unterscheidung wird jedoch durch die Entwicklung der bürgerlichen Villenarchitektur im 19. Jh. und deren quasi-öffentlichen Charakter zunehmend in Frage gestellt. Die Forschung für Paris ist weit fortgeschritten. Für Deutschland konnte ich bereits eine feste Typologie der Gebäude erstellen. Hier bleibt noch ein präzises Studium der Archive zum Synagogenbau übrig. Ich habe darüberhinaus schon die wichtigsten Orte des Orientalismus in Deutschland untersucht (Berlin, Potsdam, Stuttgart, München). Es verbleibt noch die Untersuchung der weniger veröffentlichten und kommentierten Gebäude.

 

Hypothesen und mögliche Ergebnisse

Ich möchte die Idee nuancieren, nach welcher die orientalisierende Architektur lediglich für das "Plaisir" bestimmt gewesen sei. Diese Idee beruht im Wesentlichen auf der Verbindung zwischen Orient, Lust und Luxus. Dabei handelt es sich meiner Auffassung nach jedoch um eine Reduktion. Ich stütze mich für diese Kritik auf die große Verschiedenheit der errichteten Gebäude, die wiederum verschiedenen Baugattungen angehören. Es handelt sich grundlegend um eine urbane, städtische Architektur, die an der Entwicklung der modernen Großstadt und neuen Orten der bürgerlichen Repräsentation und Sozialisation teilhat. Diese Architektur spiegelt die Widersprüche des neunzehnten Jahrhunderts und seine Angst vor einem Verlust sozialer Stabilität und Hierarchie. Hierfür finden sich Anzeichen im Verhältnis von Orientalismus und Technik, von einer modernen Gesellschaft und einer vergangenen Architektur.