Denkmalpflege im Elsass zwischen französischer und deutscher Kulturpolitik 1840 − 1900

Schon 1926 beobachtete Wilhelm Ambros, “wie die Denkmalpflege, die großenteils zwangsläufig auf die Lösung gegebener technischer Probleme auszugehen hat, die Auswirkung verschiedenster kultureller, wirtschaftlicher und politischer Tendenzen zeigt und ein fein reagierendes Instrument für die Nachweisung nationaler und kultureller Zeitströmungen darstellt.” Die Tatsache, dass Denkmale bis heute vor allem als Bestandteil eines nationalen Kulturerbes betrachtet werden und nur selten mit einer regionalen oder gar supranationalen − etwa europäischen − Identität assoziiert werden, hat ihren Ursprung im 19. Jahrhundert, als ein zunehmendes Geschichts− und Nationalbewusstsein seine materialisierte Entsprechung in den Denkmalen der Geschichte suchte, insbesondere in der Architektur als offensichtlichstem Zeugnis der Vergangenheit. Während die ideellen Wurzeln des Kulturerbeschutzes in England lagen, war Frankreich der erste Staat, in dem die Denkmalpflege als Staatsaufgabe verankert wurde. Zahlreichen europäischen Staaten diente das französische System als Modell für die Institutionalisierung der Denkmalpflege, vor allem den deutschen Partikularstaaten.

Mit dem Prozess der Institutionalisierung der Denkmalpflege, der in den Staaten Europas eine weitgehend ähnliche Ausprägung fand, ging eine zunehmende Vereinnahmung der Denkmale als nationale Symbole einher, wie sich am Beispiel der Marienburg oder der Abteikirche Saint−Denis beobachten lässt. Dabei wurden in Deutschland vermehrt aufsehenerregende Restaurierungsvorhaben, wie beispielsweise das des Ulmer Münsters, aus ihrem regionalen Kontext gelöst, um sie als “national” zu deklarieren und sich ihrer identitätsstiftenden Wirkung zu bedienen. An jenen populären Monumenten tritt augenfällig die Funktion der “Pflege der historischen Kultur als die Orientierungskrise kompensierende Identitätsfindung und −sicherung” hervor.

Eine eminent politische Dimension gewann die Denkmalpflege dort, wo Staaten unmittelbar aufeinander stießen, wie es zwischen Frankreich und Deutschland im Elsass der Fall ist. Die Region, in der sukzessive beide Staaten politischen und kulturellen Einfluss ausübten, versuchten diese bewusst in ihr jeweiliges Kulturgut einzuschließen. Im Dissertationsprojekt zu “Denkmalpflege im Elsass” geht es nun darum, genauer die zentrale Stellung zu untersuchen, die den historischen Monumenten als Erinnerungsorten, als architektonisch greifbaren Zeugen der Geschichte im nationalen Diskurs der französischen und deutschen Elsasspolitik zukommt.

Winfried Speitkamp stellt fest, dass die Denkmalpflege im Elsass “unmittelbar und augenfällig das hochbrisante Problem der Eingliederung einer zumindest gespaltenen Bevölkerung betraf. Eine Politik der Annexion wie das Ziel der Assimilation und Integration wurden auch hierbei parallel verfolgt.” Weit mehr als in Regionen, deren nationale Zugehörigkeit im Laufe ihrer Geschichte unverändert blieb, erlangte das Kulturgut im Elsass, in besonderem Maße die architektonischen Denkmale, eine außerordentliche Bedeutung. In ihm spiegeln sich gesellschaftliche und kulturelle Wertvorstellungen und sowie eine nationale Identität. Der Umgang mit den Denkmalen im Elsass zeugt daher von französischen wie auch deutschen Bestrebungen, das regionale Kulturgut in den nationalen Diskurs zu integrieren und damit das Elsass als Bestandteil des französischen bzw. deutschen Reiches zu definieren.

Angesichts der oben skizzierten Entwicklungen drängt sich als zentrale Frage auf: Wie wurde das Kulturerbe einer Grenzregion, wurden insbesondere die architektonischen Monumente als identitätsstiftendes Medium begriffen und behandelt, in welchem sich eine nationale Identität − französisch bzw. deutsch − manifestiert? An diese Problematik knüpfen sich folgende Fragen: Wer waren die Protagonisten der Denkmalpflegepolitik und welche Ziele verfolgten sie? Welchen Wert erlangte das elsässische Kulturerbe im nationalen Diskurs auf französischer und deutscher Seite? Welchen Einfluss übten deutsche und französische Politik schließlich auf die elsässischen Denkmale und deren Wahrnehmung durch die elsässische Bevölkerung selbst aus? Um diesen Fragen eingehend nachgehen zu können, wird zur Untersuchung ein Zeitraum betrachtet, der vom Beginn der staatlich institutionalisierten französischen Denkmalpflege um 1840 bis zur Konstituierung einer deutschen Denkmalbehörde in Frankreich 1900 erstreckt.

Um sich den aufgeworfenen Fragen zu nähern, entwickelt sich die Untersuchung auf mehreren Ebenen. Zunächst werden französische und deutsche Konzeptionen von Denkmalpflege einander vergleichend gegenübergestellt. Entscheidend aber ist, nicht nur die unterschiedlichen Konzepte und Ausprägungen zu vergleichen, sondern vielmehr deren Wechselwirkungen in den Blick zu nehmen. Dafür muss der rheinüberschreitende Transfer von Denkmalpflegekonzeptionen und −politik untersucht werden, wobei gemäß Johannes Paulmann “bei der Untersuchung des Transfers [die] historische Wechselbeziehung in den Mittelpunkt des Interesses [rückt].” Obwohl der Gegenstand dieser Untersuchung, die Denkmalpflege, zumeist von der kunsthistorischen Forschung behandelt wird, entspringt die hier aufgeworfene Problematik, nämlich die Frage nach politischen Interaktionen sowie gesellschaftlichen und kulturellen Wertvorstellungen, der geschichtswissenschaftlichen Forschung und erfordert es daher, in erster Linie historische Quellen heranzuziehen, wenngleich auch Bildquellen sowie natürlich die Architektur selbst berücksichtigt werden.

Das hier umrissene Forschungsprojekt ist bislang weder thematisch noch methodisch behandelt worden. Zwar existieren diverse Untersuchungen über Stadtplanung und Denkmalpflege in Straßburg und im Elsass, doch sind diese zumeist landesgeschichtlich oder kunsthistorisch orientiert und betrachten zudem entweder die deutsche oder aber die französische Denkmalpflegepolitik. Während die Geschichte der Denkmalpflege vor allem von Vertretern ihrer eigenen Disziplin erforscht wird − also von Konservatoren und Denkmalpflegern −, vernachlässigt die Geschichtswissenschaft die Geschichte der Denkmalpflege, wie Winfried Speitkamp beklagt; dabei sei sie doch “Bestandteil der Geschichte von Geschichtswissenschaft und Geschichtsvermittlung”. In der französischen Geschichtswissenschaft mehren sich die Studien zur Geschichte der Denkmalpflege, seitdem seit den 1980er Jahren die “Lieux de Mémoire” von Pierre Nora erscheinen. Dabei sind vor allem die Arbeiten von Françoise Bercé, Jean−Michel Leniaud, Dominique Poulot und jüngst François Igersheim zu nennen (siehe unten).

Zur politischen Dimension der Denkmalpflege hat im deutschsprachigen Raum namentlich der Historiker Winfried Speitkamp gearbeitet. Er fordert: “Eine moderne Geschichte der Denkmalpflege [...] darf [...] nicht von den Denkmälern ausgehen, sondern muß die Absichten und Konzepte, ihren sozialen wie politischen Hintergrund, ihre wissenschaftliche Basis und ihre ideologische Verformung und Instrumentalisierung zugrundelegen.” Das Dissertationsprojekt folgt Speitkamps Postulat insofern, als dass es die Untersuchungen in den Kontext der politischen und kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich einbettet und dabei die bislang in den Forschungen zur Denkmalpflege völlig vernachlässigte transnationale Perspektive wählt, die es erlaubt, die Methoden des historischen Vergleichs und der Transferanalyse nun auch für die Erforschung der Denkmalpflege anzuwenden. Dieser Ansatz verspricht, die Geschichte von Kulturerbe und Denkmalpflege aus ihrem bisher von nationalgeschichtlich oder landeskundlich orientierter Forschung dominierten Zusammenhang zu lösen und ihre transnationale gesellschaftliche und kulturelle Relevanz herauszustellen, die sie nicht nur im nationalen Diskurs des 19. Jahrhunderts erlangte, sondern die auch die gegenwärtige Diskussion um das “Europäische Kulturerbe” bestimmt.

Einführende Literatur
BERCE, Françoise: Des Monuments historiques au patrimoine du XVIIIe siècle à nos jours ou “Les égarements du cœur et de l´esprit”, Paris 2000.
GONZALEZ−VARAS IBAÑEZ, Ignacio: Conservación de bienes culturales. Teoría, historia, principios y normas, Madrid Cátedra 20054.
IGERSHEIM, François: Alsace illustrée, Jardin foudroyé, paysage contemplé. La fabrique des monuments, Habil. Univ. Strasbourg 2002.
JOKILEHTO, Jukka: A history of architectural conservation, Oxford 1999.
LENIAUD, Jean−Michel: Chroniques patrimoniales, Paris 2001.
LENIAUD, Jean−Michel: Les archipels du passé: le patrimoine et son histoire, Paris 2002.
POULOT, Dominique: Une histoire du patrimoine en Occident, Paris 2006.
SPEITKAMP, Winfried: Die Verwaltung der Geschichte. Denkmalpflege und Staat in Deutschland 1871−1933 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 114), Göttingen 1996.
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