Profane Wandmalerei im spätmittelalterlichen Wohnraumim Spannungsfeld kollektiver Wertesysteme und elitärer Selbstdarstellung (Arbeitstitel)

Das vorliegende Dissertationsprojekt will die profane Wandmalerei im städtischen Wohnraum des Spätmittelalters hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Konstituierung sozialer Identität und für die Legitimation machtpolitischer Ansprüche untersuchen.¹

Es gilt zunächst zu prüfen, welche Ikonographien und visuellen Strategien in der Wandmalerei in Hinblick auf die Selbstdarstellung der Hausbewohner Anwendung finden. Hierbei wird zu zeigen sein, dass durch die Generierung fiktiver Räume verschiedene Vorstellungswelten visualisiert werden, die – in Alternative zur Wirklichkeit des tatsächlichen Wohnraums – als individuell erfahrbare Imaginarien des eigentlichen „sozialen Ortes“ der Bewohner verstanden werden können. Somit stellt sich die Frage, ob und inwiefern die Wandmalereien im „privaten“ Wohnraum im Wechselspiel mit institutionellen Werte- und Ordnungssystemen der Schaffung und Stabilisierung städtischer Eliten dienen.

¹ Das hier vorliegende Exposé knüpft an die Ergebnisse meiner Magisterarbeit an: Daniela Zachmann, Wandmalereien in Florentiner Wohnhäusern im 14. Jahrhundert. Die Aneignung des Höfischen und bürgerliche Selbstdarstellung, Freie Universität Berlin 2006.

Material und methodisches Vorgehen

Sowohl im höfischen wie auch im städtischen Kontext war es üblich, Wohnräume mit profanen Wandmalereien auszustatten. Während den komplexen Bildprogrammen in Burgen und Castelli (Schlössern) wegen ihres singulären und qualitätvollen Charakters und des sozial wie historisch zumeist klar umrissenen Entstehungskontextes zahlreiche Forschungsarbeiten gewidmet wurden, vernachlässigte die kunsthistorische Forschung lange Zeit die Ausstattungen des städtischen Wohnraums vor allem wegen des schwer überschaubaren Materialfundus und des oft schlechten Erhaltungszustandes.

Die profanen Wandmalereien in städtischen Wohnhäusern sind aufgrund der repräsentativen Ansprüche der Vertreter unterschiedlicher sozialer Schichten, von einfachen Kaufleuten und Handwerkern über reiche Magnaten bis hin zum Stadtadel (RACINE 1997, KELLER 1979), von großer Vielfalt in der handwerklichen bzw. künstlerischen und intellektuellen Qualität. Das vorliegende Dissertationsprojekt soll dieses breite Spektrum von Ausstattungen in Wohnräumen in italienischen und französischen Städten des späten Mittelalters (ca. 1250-1400), welche von rein ornamentalen Mustern, fingierten Innenausstattungen² bis hin zu komplexeren figurativen und narrativen Zyklen reichen, systematisch untersuchen und Wandmalereien im alpinen bzw. nordalpinen Raum argumentativ einbeziehen.

Im Wesentlichen konzentrieren sich die bisherigen kunsthistorischen Arbeiten zu profanen Wandmalereien im höfischen und städtischen Wohnraum auf eine ikonographische Deutung. So untersuchte das Freiburger Forschungsprojekt Literatur und Wandmalerei (2002 u. 2005) das Text-Bild-Verhältnis an ausgewählten Beispielen insbesondere für den Schweizer Raum. Die Darstellungen der Bildfelder sowie die narrativen Zyklen werden also zumeist losgelöst vom Dekorationssystem betrachtet. Dieses Dekorationssystem, es handelt sich hierbei zumeist um fingierte Innenausstattungen, hat indes die Aufgabe, die figurativen Darstellungen mit dem Kontext des Wohnraumes zu verbinden. Anschließend an die von Hans-Rudolf Meier (MEIER 2005) vertretenen Thesen, ist davon auszugehen, dass es für das Verständnis von Wandmalereien im Wohnraum grundlegend ist, die visuellen Strategien des Zusammenspiels von figurativen Darstellungen, Dekorationssystem und Wohnraum systematisch zu untersuchen.

Die spezifische Erscheinungsform und Ausführungsqualität der Wandmalereien, bedingt durch den jeweiligen sozialen Entstehungskontext, erfordern eine über die kunsthistorische Analyse hinausreichende Methodik, welche sich mit der kulturellen Praxis des Ausstattens beschäftigt. Eine Gegenüberstellung jener thematisch zwar verwandten, formal hingegen sehr heterogenen Ausstattungen ist für das anvisierte Projekt gewinnbringend, zeigt sie doch, dass ungeachtet der unterschiedlichen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Voraussetzungen der einzelnen kommunalen Bevölkerungsschichten bestimmte Modi der Repräsentation beständig zur Anwendung kommen. So sollen mittels der im Dresdner Sonderforschungsbereich 537 und im angegliederten Internationalen Graduiertenkolleg 625 entwickelten kultursoziologischen Fragestellungen die Wandmalereien als Instrument der Selbstvergewisserung bzw. der elitären Selbstdarstellung der auftraggebenden Familien und gleichzeitig als Medium der sozialen „Ver-Ortung“ innerhalb der städtischen Gesellschaft untersucht werden. Im Folgenden skizziere ich drei für meine Dissertation grundlegende Fragestellungen: 1. Der fiktive Raum im Wohnraum, 2. Vereinnahmungsprozesse und 3. Die soziale „Ver-Ortung“ der Auftraggeber.

² Ich verwende den Begriff der „fingierten Innenausstattungen“ für die Dekoration der Zimmerwände und –decken mit Realien – wie Vorhängen, Teppichen, Wandverkleidungen oder gar Arkaden – imitierenden Wandmalereien; der Begriff der Innenausstattung bezieht sich insofern auf das Dekor der Wände und Zimmerdecken, nicht jedoch auf die Möblierung des Wohnraums.

Der fiktive Raum im Wohnraum

Zentrales Kriterium für die Konzeption von Wandmalereien ist die Einbindung der Bildfelder mit figurativen Darstellungen bzw. narrativen Zyklen in den architektonischen Kontext mittels eines Dekorationssystems (SANDSTRÖM 1963; STAMM 1974; BELTING 1977; MEIER 2005). Dieses Verständnis der Wandmalerei als Ensemble von Bildfeldern, Dekorationssystem und Architektur beruht auf dem kompositen Charakter der Ausstattungen. Besonders Sandström hat in seiner Forschungsarbeit Levels of Unreality die Semantisierung des Zusammenspiels der einzelnen Ausstattungskomponenten herausgestellt. Dieser Ansatz ist auch für den Kontext der Wandmalereien in Wohnhäusern fruchtbar. Figurative Darstellungen wie beispielsweise einen Garten evozierende Bäume bzw. narrative Strukturen, etwa Szenen aus höfischen Romanen bzw. des höfischen Lebens, werden hierbei einem Dekorationssystem – zumeist einer malerisch vorgetäuschten Innenausstattung – so eingepasst, dass die vorgeführten „Bildwelten“ anhand der imitierten Ausstattungselemente nahezu raumlogisch in das eigentliche Zimmer eingebunden erscheinen. Ein außergewöhnliches Beispiel hierfür ist der Zyklus der Châtelaine de Vergi im Palazzo Davanzati in Florenz, wo die Protagonisten „zwischen“ dem realen Wohnraum und dem fiktiven Gartenraum in einer fingierten Arkade wiedergegeben wurden. Jenes ästhetische Gestaltungsprinzip des Dialogisierens der fingierten Ausstattungen mit den ihnen inkorporierten Darstellungen bewirkt eine Verschränkung der von Sandström deklarierten unterschiedlichen Realitätsebenen des realen und des Bildraums. Diese „Annäherung von Bild- und Betrachterraum“ (MEIER 2005) zielt auf die Schaffung eines von der städtischen Wirklichkeit verschiedenen, fiktiven Raums ab.

In meiner Dissertation möchte ich nunmehr hinterfragen wie die visuellen Strategien der Nachahmung von Ausstattungselementen wie Vorhängen, der Übernahme vielfältig kodierter Motivkomplexe und der Verschränkung der unterschiedlichen Wirklichkeitsebenen eingesetzt werden, um im eigenen Wohnraum jene verschiedenartigen Vorstellungswelten zu generieren. Ausgangspunkt ist hierbei die Annahme, dass sich die Ausstattungen je nach sozialem Entstehungskontext und somit nach dem repräsentativen Anspruch der Auftraggeber zwischen einem einerseits eher ornamentalen, variabel kombinierbaren Formenrepertoire und andererseits spezifischer, auf einen subtilen Illusionismus abzielenden Problemlösungen bewegen.

Vereinnahmungsprozesse

Anhand der Überlegungen zu den visuellen Strategien der Integration figurativer und narrativer Strukturen in die fingierten Ausstattungen und in den Wohnraum ergibt sich die Frage, inwieweit diese ästhetische Verfahrensweise auch als Visualisierung gesellschaftlicher Assimilationsvorgänge bzw. Vereinnahmungsprozesse verstanden werden kann.

Mit der plausiblen Einbindung der Bildfelder in den Wohnraum wird das in den (mir derzeit bekannten) profanen Wandmalereien zur Darstellung kommende höfisch-ritterliche Motivrepertoire von den Bewohnern visuell für sich vereinnahmt. Ähnliche Darstellungen, originär aus dem höfischen Milieu stammend, finden sich aber ebenso in anderen sozialen und funktionalen Kontexten wie in Castelli im Norden Italiens (Rodenegg, Runkelstein, Arco oder Avio), in Ausstattungen päpstlicher Paläste (u.a. Avignon) oder in städtischen Zunftgebäuden (u.a. die Arte della Lana in Florenz).

In dem Maße wie etwa in Florenz von kommunalen Institutionen zum Beispiel von Zünften Rituale des Stadtadels adaptiert worden sind, wurden folglich auch im städtischen Wohnraum Motive des höfischen Lebens aufgegriffen. Der Rekurs auf eine höfisch-ritterliche Kultur in der Repräsentation der korporativen bzw. kommunalen Institutionen (TREXLER 1980) im Sinne der Konsolidierung kommunaler Herrschaft (KRÜGER 2006) wurde offenbar zu einem festen Bestandteil des städtischen Lebens und Wertesystems (CAMPBELL 1999). Es gilt abzuwägen, inwiefern die Wandmalereien im privaten Wohnraum gleichermaßen als mediale Objektivierungen kommunaler Institutionen (IKG 625) zu verstehen sind oder aber inwiefern der Rekurs auf die höfisch-ritterliche Kultur bzw. auf die Modi höfisch-ritterlicher Repräsentation von einzelnen Familien im Sinne der Konstituierung elitärer Identität – also der Abgrenzung – instrumentalisiert wird.

Soziale „Ver-Ortung“ der Auftraggeber?

Es soll nunmehr für einen größeren Kontext als den florentinischen hinterfragt werden, ob mittels der in den profanen Wandmalereien evozierten imaginären Bild- und Lebenswelten von einer veritablen Verortung der Auftraggeber in überindividuellen Wertesystemen die Rede sein kann. Hierbei erscheinen mir in der kunsthistorischen Forschung bislang kaum rezipierte raumsoziologische Denkansätze ein vielversprechendes methodisches Instrumentarium zu bieten, welches mit einem relationalen Raumbegriff operiert (STURM 2000; LÖW 2001). Dementsprechend soll in dieser Arbeit die Frage aufgeworfen werden, inwiefern die Generierung fiktiver Räume im Wohnraum auf die Konstitution des „sozialen Ortes“ der Auftraggeber abzielt. Eine solche kultursoziologische Betrachtungsweise (REHBERG) der Wandmalereien impliziert fernerhin Überlegungen zur Öffentlichkeit bzw. Privatheit des Wohnraums. Der Begriff des „Privaten“ und die heutige Konnotation des Wohnraums als „privater“ Raum müssen für den Zeitraum des 14. Jahrhunderts hinterfragt werden (von MOOS 1998, 2000, 2004a). Die Untersuchung von profanen Wandmalereien im „privaten“ Wohnraum dürfte, indem sie die Ausstattungen im komplexen sozialen Gefüge des städtischen Raumes lokalisiert, gewinnbringend für Überlegungen zur Visualisierung und Generierung „teil-öffentlicher“ Räume sein (REHBERG 1995, MELVILLE 1998 sowie SCHWERHOFF 2004; SCHWERHOFF/RAU 2004; Offen und verborgen 2004).

Zusammenfassung und Vorgehensweise

In meiner Dissertation zu den profanen Wandmalereien in städtischen, spätmittelalterlichen Wohnhäusern sollen gleichermaßen kunsthistorische, historische und kultursoziologische Fragestellungen in interdisziplinärer Weise verknüpft werden.

Die Untersuchung des in jenen Wandmalereien angelegten imaginativen Potentials und dessen Bedeutung für die Konstituierung, Verbreitung bzw. Stabilisierung gesellschaftlicher Werte- und Ordnungssysteme im „privaten“ Wohnraum soll zentrales Anliegen der Arbeit sein. Aufbauend auf die Ergebnisse meiner Magisterarbeit zu Wandmalereien in Florentiner Wohnhäusern sollen – ausgehend von einem Fundus von insgesamt 40-60 Ausstattungen – die Modi der Selbstdarstellung in erweiterten Fallstudien insbesondere für Italien und Frankreich aber auch für den alpinen und nordalpinen Raum analysiert werden. In einem ersten Schritt gilt es, den Aufbau der Wandmalereien in Hinblick auf die Generierung von imaginären Räumen und der visuellen Vereinnahmung der figurativen Darstellungen bzw. der narrativen Sequenzen zu analysieren. In einem zweiten Schritt soll die sozialhistorische Lokalisierung der Auftraggeber im städtischen Kontext erfolgen und entsprechend deren sozialem Status die Assimilation institutioneller Wertesysteme in den Wandmalereien geprüft werden.

Das Ziel dieser Dissertation ist, aus kunsthistorischer Perspektive eine differenzierte Antwort auf die Frage zu geben, ob und inwiefern Wandmalereien im „privaten“ Wohnraum als Schnittstelle von individuellem Lebensraum und einem durch den Rekurs auf institutionelle Werte- und Ordnungssysteme generierten öffentlichen Raum verstanden werden können.

Einführende Literatur (in Kürze)
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