Fremdbeobachtung von Mendikantenorden im 13. Jahrhundert
(Arbeitstitel)
In meiner Dissertation soll untersucht werden, wie im Mittelalter religiöse Orden von ihrem sozialen Umfeld wahrgenommen worden sind. Den Schwerpunkt wird dabei Westeuropa mit seiner spezifischen kulturellen Ordnung bilden. Als Untersuchungsfeld steht mit den Bettelorden ein Religiosentum zur Verfügung, das die älteren Konzepte einer Grenzziehung zwischen monastischen Lebensraum und Umfeld in spezifischer Weise überschritt und damit eine besonders breite Basis für eine Kommunikation zwischen Kloster und Welt lieferte.

Mit den Bettelorden begann im 13. Jahrhundert eine neue Form des Ordenslebens, die sich in ihrer Charakteristik wesentlich vom älteren Religiosentum unterschied. Die mendikantische Zielsetzung der vita apostolica verband sich mit einer bewußten Öffnung zur Welt, in der den Menschen durch Predigt, Seelsorge und eigenes Vorbild die christliche Lehre wieder stärker verinnerlicht werden sollte. Damit einhergehend entwickelten sich – für die Mendikanten charakteristische - innovative regulare Lebensformen wie Bettel und Armut, organisiertes Studium und Ortsungebundenheit, wobei vor allem die urbanen Zentren einen Anziehungspunkt für die geplante Hinwendung der Brüder zur Welt boten. Gleichzeitig ist die Entstehung der Bettelorden immer im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Umbrüchen des 13. Jahrhunderts zu sehen, wobei zu beachten ist, daß neben der neuartigen Hinwendung der Orden zur Welt auch von seiten der Umwelt, insbesondere der städtischen Gesellschaft auf lokaler und der römischen Amtskirche auf überregionaler Ebene, neue Funktionszuweisungen an die Mendikanten herangetragen wurden. Obgleich die Außenwirkung und Anziehungskraft der genannten Orden - wie ein Blick auf die rasche Verbreitung zeigt – enorm war, bedurfte es eines Lernprozesses im Umfeld, um die Neuartigkeit der Mendikanten in ihrer Funktionalität und Symbolizität verstehen zu können. Es hing gleichermaßen von der Selbstdarstellung der Orden nach außen ab wie von der jeweiligen Fähigkeit des Beobachtenden, hinter die äußere Erscheinungsform auf die diese begründenden Ordensideale zu blicken, zu welchen apperzeptiven Leistungen man entsprechend gelangte.

Bei der Arbeit soll der Blick exemplarisch auf die zwei großen Mendikantenorden der Dominikaner und Franziskaner gerichtet werden. Zudem wird angestrebt, die Wahrnehmungsgeschichte dieser religiösen Gemeinschaften in eine ordensvergleichende Perspektive einzubinden. Als zeitlicher Rahmen bietet sich für die Entstehungs- und Etablierungsphase der genannten Orden das 13. Jahrhundert als eine Epoche an, in der die Mendikanten als neue Erscheinung im besonderen Maße unter der Beobachtung der Zeitgenossen standen.
Das so noch nicht bearbeitete Thema steht im Kontext zweier aktueller und somit keineswegs abgeschlossener Forschungsfelder, welche im Rahmen der geplanten Dissertation aufeinander bezogen werden sollen. Es nimmt sowohl Bezug auf gegenwärtige Arbeiten der vergleichenden Ordensgeschichte1 als auch auf neuere Forschungen zur Wahrnehmungsgeschichte sozialen Wandels.2 Während für die Cluniazenser erste Studien in diesem Fragezusammenhang vorliegen,3 steht für die Bettelorden eine umfassende Untersuchung noch aus, verwiesen sei hier auf erste Forschungsschritte durch G. MELVILLE zur Wahrnehmung von Mendikanten4 sowie auf zwei eigene, thematisch eng verwandte Vorarbeiten zu dominikanischen Niederlassungen im südfranzösischen Raum.5
Die Untersuchung wird sich sowohl auf Formen der Wahrnehmung und ihre Darstellung, als auch auf Wahrnehmungsmöglichkeiten und –interessen im Umfeld der Bettelorden und auf die jeweiligen Ergebnisse der Wahrnehmung beziehen. Im Mittelpunkt der Dissertation wird die Frage nach den jeweiligen Wahrnehmungs- ergebnissen und Beurteilungen der genannten Orden stehen. Indes muß eine letztlich vergleichende Beurteilung immer im Zusammenhang mit den folgenden Fragestellungen gesehen werden, von denen eine geplante Untersuchung auszugehen hätte:

Welche Formen der Selbstdarstellung - sowohl literarische Selbstbeschreibungen als auch symbolische Repräsentationen - entwickelten die genannten Orden? Welche sozialen Umfelder (sowohl kirchliche als auch laikale) haben welche Wahrnehmungsmöglichkeiten und –interessen und erbringen spezifische Wahrnehmungsleistungen? Durch welche rasterhaften Vorstellungen in Form von idealen Ordensbildern, Vorprägungen durch andere Orden, spezifische Mentalitäten usw. wurde die Wahrnehmung jeweils bestimmt? Welche Bereiche (äußere Erscheinungsform oder interne Lebensform versus jeweilige Ordensziele oder deren spezifische Realisationen in der Umwelt) der genannten Orden wurden jeweils wahrgenommen?
Gleichfalls ist nach den einzelnen Darstellungsformen der Wahrnehmung zu fragen, als Quellen für die Untersuchungen kommen besonders historiographische Werke, aber auch Briefe, Ständetraktate, Predigten, Gutachten, Satiren und Romane in Frage. In einem ersten Schritt war es notwendig, einen Überblick über das vorhandene Quellenmaterial zu gewinnen und dieses zu strukturieren.

Ausgehend von dem Zusammenhang zwischen verschiedenen Schichten des mendikantischen Umfeldes und der jeweiligen Möglichkeit zur Wahrnehmung wird während der Arbeit das soziale Umfeld in mehrere Ebenen unterteilt. Als damit gleichzeitig voneinander unterschiedene Wahrnehmungsebenen werden überregionale, regionale und lokale Ebenen zu untersuchen sein, wobei aber mögliche Überschneidungen zu beachten sind. Auf der lokalen Ebene wird genauso wie in Hinblick auf das historiographische Quellenmaterial in der Folge eine Auswahl und damit ein exemplarisches Arbeiten notwendig sein.

Das Ziel wird sein, die Quellenbefunde systematisch zu vernetzen und die Entstehung und Etablierung der Bettelorden unter dem Gesichtspunkt ihrer Medialität als neue Strömung des Religiosentums in kulturelle und historische Kontexte einzuordnen. Das beschriebene Vorhaben, als ein konkretes historisches Problemfeld die Wahrnehmung von Mendikantenorden im 13. Jahrhundert zu analysieren, kann somit ebenfalls einen Beitrag liefern für die Untersuchung von (spezifisch mittelalterlichen) Formen und Mechanismen der Kommunikabilität und Wahrnehmung von institutionellen Ordnungen.

1 Vgl. hier besonders die jüngsten Veröffentlichungen von CYGLER, Florent / MELVILLE, Gert / OBERSTE, Jörg, Aspekte zur Verbindung von Organisation und Schriftlichkeit im Ordenswesen. Ein Vergleich zwischen den Cisterziensern und Cluniazensern im 12./13. Jahrhundert, in: KASPER, C. M. / SCHREINER, K. (Hgg.), "Viva vox" und "ratio scripta". Mündliche und schriftliche Kommunikationsformen im Mönchtum des Mittelalters (Vita regularis Bd. 5), Münster/Hamburg/London 1997, S. 205-280.

2 Vgl. etwa den Sammelband von MIETHKE, J. / SCHREINER, K. (Hgg.), Sozialer Wandel im Mittelalter. Wahrnehmungsformen, Erklärungsmuster, Regelungsmechanismen, Sigmaringen 1994 sowie SCHREINER, Klaus, Sozialer Wandel im Geschichtsdenken und in der Geschichtsschreibung des späten Mittelalters, in: PATZE, Hans (Hg.), Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im späten Mittelalter (VF 31), Sigmaringen 1987, S. 237-286.

3 CONSTABLE, Giles / MELVILLE, Gert / OBERSTE, Jörg (Hgg.), Die Cluniazenser in ihrem politisch-sozialem Umfeld, (Vita regularis Bd. 7) Münster/Hamburg/London 1998.

4 MELVILLE, Gert, Duo Novae Conversationis Ordines. Zur Wahrnehmung der frühen Mendikanten vor dem Problem institutioneller Neuartigkeit im mittelalterlichen Religiosentum, in: MELVILLE, Gert / OBERSTE, Jörg (Hgg.), Die Bettelorden im Aufbau. Beiträge zu Institutionalisierungsprozessen im mittelalterlichen Religiosentum, (Vita regularis 11) Münster 1999, S. 1-23.

5 SICKERT, Ramona, Das soziale Umfeld der ersten Dominikaner zwischen Opposition und Affirmation. Zur Etablierung des Ordens in südfranzösischen Bischofsstädten (1215-1235), [Magisterarbeit 1999] sowie DIES., Dominikaner und Episkopat. Zur Etablierung des Predigerordens in südfranzösischen Bischofsstädten (1215-1235), in: MELVILLE, Gert / OBERSTE, Jörg (Hgg.), Die Bettelorden im Aufbau. Beiträge zu Institutionalisierungsprozessen im mittelalterlichen Religiosentum (Vita regularis 11), Münster 1999, S. 295-319.