Massenmediale Selbstdarstellung der Parlamente Frankreichs,
Deutschlands und der Europäischen Union im Vergleich
 
Der Umgang von Parlamenten mit Öffentlichkeit ist charakteristisch für das Selbstverständnis der Institution und damit der demokratisch-politischen Kultur eines politischen Systems. Seit dem 16. Jahrhundert ist die Frage, welche Ergebnisse oder Prozesse aus dem Parlament veröffentlicht werden sollten und welche nicht, ein Thema sowohl von Geschäftsordnungsdebatten der Parlamente selbst als auch von Parlamentarismustheorien und politischen Theorien allgemein. Dabei stehen auf der einen Seite Diskurse, die Öffentlichkeit eher ablehnen, da die Parlamente negative Folgen für ihre Mitglieder, eine Beeinträchtigung ihrer Arbeitsrationalität oder einen Ansehensverlust des politischen Systems, für das sie stehen, befürchten. Auf der anderen Seite wird Öffentlichkeit gefordert, weil die Parlamente sich positive Auswirkungen auf die Karrieremöglichkeiten ihrer Mitglieder, öffentliche Unterstützung von Emanzipationsansprüchen von Parlamenten oder eine gesteigerte Zustimmung durch Transparenz für das politische System erhoffen. Seit der Entwicklung der Massenmedien hat sich dieses Diskursfeld zu einem zentralen innerhalb der politischen Systeme der westlichen Gesellschaften entwickelt.

In meinem Dissertationsprojekt werde ich über eine historische Analyse des Umgangs der Parlamente mit der massenmedialen Öffentlichkeit die Selbstverständnisdiskurse der drei untersuchten Fälle nachzeichnen. Konkreter Gegenstand ist die Selbstdarstellung der Parlamente in Fernsehen und Internet. Die Medienanalyse wird dabei drei Dimensionen behandeln:

1) die Dimension der institutionellen Produktion von Öffentlichkeit. Hier werden Fragen der folgenden Art behandelt: Welche Akteure verhandeln über Parlamentsöffentlichkeit? Welche institutionellen Mechanismen werden entwickelt, um Parlamente zu repräsentieren? Welche Arbeitsschritte zeigt ein Parlament und welche nicht? Methodisch ist hier eine durch qualitativ empirisch ermittelte Daten gestützte institutionelle Analyse geplant.

2) die Dimension der "Textanalyse". Hier wir gefragt, wie das, was zu sehen ist, ästhetisch und narrativ, strukturiert ist. Wo stehen die Kameras im Parlament? Welche Ausschnitte von Reden werden gezeigt? Wie wird durch die jeweilige "Erzählweise" eine implizite Öffentlichkeit positioniert? Welche Unterschiede bestehen zwischen den Medien Fernsehen und Internet? Hier kommen literatur- und medienwissenschaftliche Theorien und Methoden zum Einsatz.

3) die Dimension des Mediensystems. Sowohl durch die Veränderung der Technik als auch durch institutionelle Änderungen der Medienlandschaften ändert sich die mediale Umwelt der Parlamente und entsprechen deren Strategien, mit den Medien umzugehen. Die hier zu stellenden Fragen sind: Wie verhalten sich die Eigenlogik des politischen System und des Mediensystems zueinander? Welche Rückwirkungen auf die Selbstrepräsentation der Parlamente hat ein Strukturwandel der medialen Öffentlichkeit? Hier sind sowohl medientheoretische als auch systemtheoretische Analysen geplant.

Diese allgemeinen Dimensionen sollen den Rahmen für die historische Analyse der drei Vergleichsfälle geben. Dabei legt jeder der drei Fälle besondere, durch die jeweilige Ausgangslage bedingte Untersuchungen nahe: In Frankreich ist durch die Verfassung von 1958 der politische Einfluss der Assemblée nationale sehr viel geringer geworden. Dies wird durch verschiedene Reformen seit den 90er Jahren wieder relativiert, dennoch ist die Frage, wie sich der Bedeutungsverlust derjenigen Institution, die in der französischen Theorietradition eine so zentrale Rolle gespielt hat, im Selbstverständnis und der Selbstrepräsentation in der Öffentlichkeit widerspiegelt. Im deutschen Fall war die Ausgangslage von 1949 anders: Die antiparlamentarische Tradition in Deutschland musste überwunden werden. Gleichzeitig war zum erstenmal für die Deutschen sichtbar, was in dem geringgeschätzten Parlament eigentlich geschieht. Wie sah und sieht der Versuch des Bundestages aus, die Massenmedien zur Akzeptanz des Parlaments und damit des parlamentarischen System einzusetzen? Im Fall des europäischen Parlaments muss - anders als in den nationalen Fällen, wo Parlamente eine bestehende Öffentlichkeit vorfinden - die Öffentlichkeit, die angesprochen werden soll, erst erzeugt werden. Wie sind die Bedingungen der Erzeugung von Öffentlichkeit durch Massenmedien?

Die die Untersuchungen leitende Hypothese ist (entwickelt zunächst am deutschen Fall), dass die Parlamente von einer Strategie der Abwehr gegenüber den Medien, um das politische Arkanum zu schützen, zu einer extremen Gegenposition umgeschwenkt sind, in der möglichst große Präsenz des Parlaments in den Medien angestrebt wird. Dabei unterstelle ich nicht einfach eine gesteigerte Transparenz der Politik, sondern die Intention der Parlamente, den Eindruck einer ständig laufenden Arbeitsroutine zu erwecken.

Der theoretische Ertrag der Dissertation soll in einem Verständnis nicht nur des Verhältnisses von Politik zu Medien, sondern der medialen Bedingungen postmoderner Politik bestehen.
 
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