Pierre Monnet
Politik und Symbolik der städtischen Kommunikation im spätmittelalterlichen Reich

"Item so bottschaft by nacht kam und von de briffen. Item so pottschaft bey nacht an die tor kam so weiset man die poten alle an daz Ithertürlein und es waz von ratz wegen einer bestelt der da selbst ie pottscaft vernam. Item man het bestelt iii gesworenen poten die brieff hin und her trugen und sye trugen sye vast verporgen in steben, also daz die steb untern warn ausgeport und die brieff darein getan und zappfen dafur geslagen auch trugen sye die brieff in schüßeln und flaschen mit zwifachen pöden". So beschrieb Erhard Schürstab, Bürgermeister von Nürnberg im Jahr 1450 und selbst des Öfteren Gesandter im Dienst der Stadt, die vom Rat organisierte Nachrichtenübermittlung geheimer Botschaften während des vom Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg zwischen 1449 und 1450 angezettelten Krieges. Dieser Auszug, der die Kommunikation mit der Außenwelt, Kriegshandlungen, die Sicherheit der Stadt und die Existenz eines erprobten Nachrichtensystems deutlich macht, konfrontiert den Leser mit einer Aussage, die die Frage nach der Notwendigkeit von Informationen für die Handlungsfähigkeit der Stadt stellt, und folglich nach den Möglichkeiten und Grenzen von Handlungen und Informationsgewinn, die den Rahmen der Stadtmauer überschreiten.

Eine solche Funktion scheint in dieser Zeit für eine Stadt, und im besonderen für ein politisches Selbstbewusstsein des Rates, so wichtig gewesen zu sein, dass zum Beispiel die Stadt Bern vor der Mitte des 16. Jahrhunderts den berühmten Läufferbrunnen als Symbol der Stadt und ihrer Ämter errichten liess während der Rat der Stadt Basel im 15. Jahrhundert zwei Darstellungen ihrer Boten anfertigen liess. Somit stellt sich das Rathaus selbst als Ort einer politischen Macht dar, die ohne Nachrichten von Aussen nicht leben und entscheiden konnte. Davon zeugte auch bereits im 14. Jahrhundert die berühmte Inszenierung der Securitas auf der Freske des Buon Governo von Sienna, wo das Wesen der Stadt als Gemeinschaft der pax und justitia eine Innen- und eine Aussenseite betrügt, eine Aussenseite die hier die Strassen, die Jäger, die Bauern, die Wächter, die Kaufleute, die Pilger und die Boten bildlich vereinigt.

Ein gut funktionierendes Boten- und Nachrichtenwesen gehört also zur utilitas publica, zum Gemeinwohl der Stadt. In den Ratsgedichten des Eisenacher Notars Johannes Rothe kann man gegen 1415 eine Beschreibung der idealen städtischen Ämter lesen sowie eine organische Metapher der Stadtverwaltung und der städtischen Gesellschaft, die dank des ständigen Verkehrs von Boten und Nachrichten miteinander gut kommunizieren und gedeihen können. Desgleichen findet man sowohl 1476 unter der Feder des Görlitzer Magister Johannes Frauenburg, Stadtschreiber des Rates, als auch im politischen Traktat des Frankfurter Stadtartzes Johannes von Soest, der 1495 sein &qout;Wie men wol ein statt regyren kann" verfasst. Somit sehen wir dass eine geschichtliche Untersuchung zur Communicatio keine Gedanken über die Communitas auslassen kann, denn es geht darum zu wissen, einerseits aus welcher Rationalität der Prozess der Information und Vertretung einer politischen Obrigkeit besteht und andererseits welche Wertvorstellungen dabei widergespiegelt werden.

Es geht gleichfalls darum zu zeigen, dass nicht nur die wirtschaftliche Situation sondern auch das politische System der Städte, ihre administrative Organisation, ihre Archive, ihre Finanzen und Führungskreise in zunehmendem Mass durch die aussenpolitischen Faktoren sowie durch die Informations- und Kommunikationspolitik des Rates beeinflusst werden. So waren einige wichtige Städte gezwungen, andere Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, was ihnen auch gelang. Sehr schnell springen einige zentrale Punkte ins Auge, durch die sich einige Städte Mittel- und Süddeutschlands, so Frankfurt, Nürnberg, Augsburg, Ulm und Strassburg, von den anderen Städten unterscheiden. Eine Untersuchung der städtischen Gesandtschaften auf den Reichstagen des 15. Jahrhunders hat längst gezeigt, dass es fast immer eben diese Städte sind, die die zahlreichsten Gesandtschaften, bestehend aus den erfahrendsten, wohlhabendsten und ältesten Gesandten, schicken. Schon vor langer Zeit wies Peter Moraw darauf hin, dass es unter den Reichsstädten eine Hierarchie gab, die auf den Grad der Informationen und Aktivitäten im Bereich des Äusseren zuräckgeht.

Auf der anderen Seite dürfen die äusseren Angelegenheiten nicht nur als eine zusätzliche Verwaltungsaufgabe angesehen werden, derer sich der Rat notwendigerweise annehmen muss, sondern sie stellen langwierige Unternehmungen dar, die dem Gedächtnis der Stadt zugute kommen. Das wird auch dadurch belegt, dass die Abfassung der Stadtchroniken einerseits und der Anstieg der städtischen Korrespondenzen andererseits zeitlich zusammenfallen. So stellten Briefe zu den äusseren Angelegenheiten und Gesandtschaftsberichte die primäre Quelle für die städtische Historiographie dar. Diese Annahme wird auch durch die Tatsache bekräftigt, dass die Ratsboten gleichzeitig mit den Stadtschreibern einen Gesandtschaftsauftrag erhielten, so in Nürnberg, Frankfurt oder Basel. Städtische Geschichtsschreibung und Identität und eine zunehmende Kommunikation hängen eng, sowohl thematisch als auch chronologisch, zusammen.

Es waren also nicht nur die Stadtmauern, die das Gedächtnis der Stadt untermauerten und zu einem gestärkten städtischen Bewusstsein führten. Die Wahrnehmung der Botschaften ermöglichte nicht nur, den nahen Raum besser zu kontrollieren, also ein eigenes Verständnis der Stadt herauszubilden, sondern sie trug zum Aufbau eines aktiven Gedächtnisses bei, das die Auswirkungen von Krieg und Frieden, von Information und Kommunikation auf die Geschicke der Stadt einbezog, gleichzeitig aber auch die Ehrbarkeit und den Ruf der Stadt ausprägte. Zur besseren und konkreteren Erläuterung sei, unter vielen anderen Beispeilen, an das Protokoll eines 1422 zwischen den freien Städten und den Reichsstädten der Wetterau, des Elsass, des Breisgau, Schwabens und Frankens ausgehandelten Abkommens gedacht, nach dessen Ablauf die Gesamtheit der betroffenen Städte in fünf Kreise unterteilt werden sollte, innerhalb derer ein Informationsaustausch zu Fragen der Sicherheit und der politischen Zukunft jeder Stadt stattfinden sollte. Der Text zeigt ebenfalls die konkreten Probleme, die sich bei der Durchführung der territorialen Verständigung auf der Grundlage einer "einung" ergeben, deren Voraussetzung es ist, die Frage der Authentizität und Bürgschaft für die Botschaft geklärt zu haben. Tatsächlich wird im fünften Punkt des Protokolls festgelegt, dass jede Stadt des Bundes die Existenz und die Unmittelbarkeit einer beobachteten Gefahr beurteilen sollte und die Nachricht durch ihr Ehrenwort und ihren Eid bekräftigt durch stete Boten, die mit voller macht ausgestattet und vereidigt waren, überbringen lassen sollten.

Wir sehen wie breit die Quellengrundlagen für die Erforschung der äußeren Informations- und Vertretungspolitik der Städte im späteren Mittelalter ist : Chroniken, Traktate, Briefe, Berichte, Bilder, Denkmäler, und nicht zuletzt Stadtrechnungen, wobei letztere eher die materiellen, zeitlichen, organisatorischen und räumlichen Aspekte dieses Bereichs beleuchten können. Diese besondere Quelle der Stadtrechnungen kommt aus der städtischen und kommunalen Praxis, zeugt also von einer politischen Organisation und von einem politischen Geist, meines Erachtens nach mehr als von einer wirtschaftlichen Rationalität. Hier kann man die Taktik, die Auswahl und die Arcana, die Geheimnisse der kommunalen Macht erkennen, eine Logik, ein Bewusstsein des umgebenden Raumes und letzten Endes eine Verwaltung der Nachrichten und Kommunikationszeit, die für unsere Thematik sehr wichtig sind.

Neben den Namen der Boten, Läufer und Gesandten, die von grossen wie kleinen Städten ständig in alle Richtungen geschickt wurden, liefern diese Quellen zahlreiche Informationen über die Funktionen, die Bezeichnungen und die materielle und symbolische Ausstattung dieser Inhaber eines städtischen Außenamtes, seien sie Boten oder cursores ohne Verhandlungsgewalt oder nuncii, Ratsboten oder Sendeboten mit allen Vollmachten. Die Stadtrechnungen werden somit zu wahrhaften Archiven der städtischen Mobilität und Kommunikation. Die Registrierung eines regelmäßigen Boten- und Nachrichtenwesens in den Stadtbüchern beginnt fast ebenso früh, wie die Niederschrift der Stadtrechte selbst. So finden wir seit 1325 Listen von Botengängen und Reiserechnungen für die Stadt Regensburg, seit 1332 für Strassburg, seit 1333 für Aachen, seit 1350 für Lübeck, seit 1353 für Köln und seit 1381 für Frankfurt. Im Fall Frankfurts sind die Botenbücher umso wertvoller als die Rechenmeisterbücher im Jahre 1944 komplett vernichtet wurden. Die seit 1381 zum Teil vollkommen erhaltene Serie der Botenbücher erlaubt zwar keine direkte Analyse der städtischen Außenpolitik, ermöglicht aber eine Teilstudie ihres Funktionierens, ihrer Kosten und ihrer räumlichen Entwicklung. Diese Quelle besteht aus 56 zwischen 1381 und 1491 entstandenen Faszikeln; insgesamt etwa 1100 Blätter mit jeweils 20 verzeichneten Botengängen ab den Jahren 1430-1440. Jeder Gang wird nur ganz nüchtern beschrieben : Name des Boten und des Adressaten, Zielort, Kosten und Dauer, manchmal Bemerkungen über die Angelegenheit oder die mitgebrachten Objekte (Briefe, Geschenke) oder über Unfälle, Gefahren und Geleit. Das führt zu einer ersten Feststellung: Die Zahl der Botengänge nimmt ständig zu; sie steigt von 73 im ersten Botenbuch aus dem Jahr 1381, auf 226 im Jahre 1385, 181 im Jahre 1391 bis durchschnittlich 400 bzw. 500 in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Eine erste Untersuchung der mehr als 250 verschiedenen Zielorte der Jahrzehnte 1410-1440 zeigt, dass der Einfluss- und Wirkungskreis der öffentlichen Kommunikationspolitik der Stadt drei Anliegen hat: Die Sicherung der Strassen und Wege zur Messe, die Informationen über die politische Lage im Umfeld der drei nahgelegenen erzbischöflichen Kurfürsten von Trier, Köln und Mainz und die Beziehungen zum königlichen Hof. Wirtschaft, Königswahl und Kaiserhof - diese drei Dimensionen bezeichnen den wichtigsten Horizont und die Schwerpunkte einer Reichsstadt, deren Ruf von der Königswahl und den Jahresmessen abhängig ist.

Wer die Quellen der städtischen Rechnungs- und Botenbücher weiter liest versteht rasch, dass die Registrierung der Kosten eines regen Boten-, Gesandten- und Nachrichtenverkehrs eine konstante Ausgabe im städtischen Etat darstellt. Ich muss hier sehr stark zusammenfassen, aber meine und andere Untersuchnungen ergeben eine grobe Schätzung von in ruhigen Zeiten durschnittlich 5% bis 10% der städtischen Ausgaben für Boten, Reisen und Repräsentanten in den meisten mittelgrossen und grösseren deutschen Städten zwischen den Jahren 1350 und 1500. Neben diesen Summen ist auch die Zahl der täglichen Botengänge und der außerordentlichen Botschaften beachtlich: Die Regensburger Stadtrechnungen registrieren insgesamt 3.000 große Gesandtschaften zwischen 1393 und 1498, während die Stadt Bern durchschnittlich 400 bis 500 Botengänge pro Jahr bezahlt. In Görlitz, wurden zwischen 1404 und 1437 beinahe 4.800 Boten- und Gesandtenreise finanziert und eine Stadt wie Lüneburg hat in 7 Jahren, zwischen 1443 und 1450, über 680 wichtige Nachrichten und Botschaften verschickt, zu denen im gleichen Zeitraum noch 178 Ratssendebotschaften kamen. Dank ihrer seit 1349 komplett erhaltenen Rechnungsbücher wissen wir, dass die Stadt Wesel in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts jährlich etwa 60 Reisen "de nunciis" bezahlte, und dass der Rat seit 1400 finanziell für 4 offizielle Botenbüchsen und 10 Boten sorgte.

Dank der Stadtrechnungen kann man auch die verschiedenen Bezeichnungen des Botenamtes und seiner Funktionen besser begreifen. Die Stadt Nürnberg beschäftigte 1476 insgesamt 4 Botenläufer, 4 Fronboten, 3 Landboten und 7 Boten. Diese letzteren waren zum Beispiel nur für die städtische Umgebung zuständig. Die Differenzierung beruhte offenbar gleichzeitig auf der Distanz einerseits und der Wichtigkeit der Nachricht andererseits. So unterscheiden die Hamburger Kämmereirechnungen seit der Mitte des 14. Jahrhunderts zwischen den cursores, die nur für kurze Strecken in die nähere Umgebung eingesetzt wurden, und den nuntii civitatis Hamburgensis , die zu den Hansetagen, oder in weiter gelegene Städte oder zum König gesendet wurden. Die Ausgaben der Stadt Duderstadt differenzieren seit 1397, je nach Art des Boten- und Gesandtenganges, zwischen den Kosten pro nuntiis euntibus, pro nuntiis alienis, pro nuntiis secretis und pro nuntiis specialibus.

Auch Organisation und Verwaltung des Nachrichtendienstes werden durch diese Quellen ans Licht gebracht. Vorsichtshalber entsandte man bei wichtigen Botschaften parallel mehrere Läufer über verschiedene Wege. In gleichem Masse versuchten die großen Städte, je nach dem Ziel der Botschaft, das geeignetste Personal zu gewinnen, das heißt besonders tüchtige Boten, die entweder die Sprache beherrschten oder die Wegstrecke mit den Gasthäusern, den Zöllen, den Brücken usw. besonders gut kannten. In dieser Hinsicht ist die Frage erlaubt, ob die eingetragenen Reiserechnungen und Botenbücher nicht hauptsächlich auf Grund ihrer geographischen praktischen Nützlichkeit aufbewahrt wurden, und zwar zu einer Zeit, die die kartographische Darstellung der Wege, der Strassen und der Städte zumindest bis 1480-1500 nicht kannte. Besaßen diese Rechnungs- und Botenbücher nicht, neben buchhalterischen Zwecken, doch eine andere Funktion, und zwar die, durch die Auflistung von Zielen, Wegen und Kosten, eine lebendige Raumvorstellung auzugestalten, also die Funktion einer dynamischen und materiellen Darstellung des Kommunikations-, Öffentlichkeits- und Einflussraumes der Stadt?

Als Rechnungsdokumente konnten sie auch eine weiträumigere darstellende Funktion haben, wenigstens was die Raumvorstellungen und das Raumbewusstsein angeht. Hier sei der Fall der Stadt Konstanz genannt, wo eine Ratsordnung von 1432 zunächst zwischen zwei Kreisen unterscheidet: einem Kreis von 20 Meilen um die Stadt, also ca. 150 Km, der "im Land" bezeichnet wird und einem zweiten Kreis darüber hinaus, der "aus dem Land" bezeichnet wird. 1442 unterscheidet man zwischen drei Kreisen, bis zu 2 Meilen für die üblichen und nicht festangestellten Läufer zu Fuß, von 2 bis 20 Meilen für die Rastboten und die reitenden Boten, und der dritte Kreis für die grösseren Ratsbotschaften. Die Bezahlung und die Ausstattung des Personals wird dieser Unterteilung entsprechend fixiert. Auch in Strassburg bestimmt der Rat Mitte des 15. Jahrhunderts einen engeren Kreis, einen regionalen Kreis "über gebirg und zu schwoben" und schließlich einen überregionalen Kreis für bedeutende Nachrichten und Botschaften, die aus repräsentativen Gründen dazu berechtigen und verpflichten, in den Herbergen das Strassburger Silbergeschirr zu benützen. Auf jeden Fall bemerkt man vielerorts, dass die städtische Obrigkeit im Laufe des 15. Jahrhunderts immer stärker darauf bedacht ist, erfahrene, tüchtige und kompetente Boten und Gesandten zu rekrutieren. Letztlich waren auch sportliche, bzw. technische Fähigkeiten nötig, wie beim Fluss- oder Seeüberqueren...

Die Stadtrechnungen ermöglichen schließlich, einen Blick auf die materielle und symbolische Ausstattung der Stadtgesandten zu werfen : Kleidung, Schuhe, Botenbüchse, Stab... informieren nicht nur über die Kosten des Strassenverkehrs und -gebrauchs, sondern auch über eine "Öffentlichkeit", deren Aussagefähigkeit über einen spezifischen Identifikations-, Repräsentations- und Visualisierungsprozess in der Stadt gross ist. Die offiziellen städtischen Boten und Gesandten werden, wenn sie keine Spione sind, durch sichtbare Attribute und Farben signalisiert, die nicht nur die Immunität sondern auch die Identität der Stadt betonen. Häufig tragen die Kleider und die Büchsen eines Botens das Stadtwappen oder zeigen die Stadtfarben, so in Hamburg ab 1350 (pro vestitu cursorum, mit drei bestimmten Stücken alle in rot : tunica, toga, capucium), in Aachen ab 1394, in Frankfurt ab 1440 und in Strassburg ab 1443. Die Büchsen oder pixides werden im Hamburger Recht signum civitatis genannt, und die Frankfurter Botenbücher erwähnen mal die "stade busse" mal die " boten busse", und ab 1451 unterscheidet sich diese von der "silbernen Reichsbüchse", die nur benützt wird , wenn es darum geht Briefe oder Nachrichten vom oder zum königlichen Hof zu bringen, so im städtischen Boteneid.

Solche Boteneide tragen dazu bei, gleichzeitig eine offizielle und normierte Tätigkeit des nach Aussen geschickten Personals und den gemeinen Nutz der Stadt im äusseren Gebiet zu definieren. Diese Ordnungen erwähnen oft auch die Gefahren der Reise selbst : Raub, Entführung und Folter um das Geld, die Geschenke oder die Nachricht der Botschaft zu entwenden. Hier wäre die Position des städtischen Gesandten näher zu untersuchen, denn im Gegensatz zu königlichen, fürstlichen oder päpstlichen Gesandten kann man ihn ohne das Risiko einer Majestätsbeleidigung behandeln. Eine nähere Untersuchung zu den ritualen Demütigungen der städtischen Boten wäre eine wichtige Forschungsaufgabe: zu diesen Demütigungen gehörten der Zwang zum Aufessen der Briefe, das Zerschneiden der Kleider oder auch das Haareschneiden. Ab negativo warnen die Boteneide oder Botenordnungen vor schlimmen Konsequenzen im Fall schlechten Benehmens des Boten selbst: Die Gefahr des übermässigen Essens und Trinkens im Gasthaus oder noch schlimmer der Leichtsinn des Boten, der seine Nachricht entweder vergisst oder ausplaudert (so im Narrenschiff von Sebastian Brant über den unnützen Boten). Hier entsteht in den Bildern und der Literatur an der Schwelle des 16. Jahrhunderts der Topos des betrunkenen und hinkenden Boten, ein Topos der auf die Wichtigkeit jeder Nachricht hindeutet und diese Nachricht wortwörtlich in ihrem Träger verkörper. Dies zeigt die Beobachtung der Darstellungen der Figur des Läufers im Schachspiel in verschiedenen Handschriften des gegen 1337 in mittelhochdeutsch von Konrad von Ammenhausen verfassten Schachzabelbuchs, nach dem Modell des gegen 1300 geschriebenen "Libellus de moribus hominum et de officiis nobilium super ludo scaccorum" von Jacobus de Cessolis.

Der gute Bote verkörpert eine Leistung, die die Stadt nicht nur mit anderen Informanten verbindet, sondern diese Stadt mit ihrer Konzeption der utilitas publica auf den Strassen signalisiert und identifiziert.


Diese Bemerkungen sind lediglich Beispiele für die mögliche Bewertung eines Quellenmaterials, das durch seine Vielfalt von einer richtigen gezielten Politik, ja von einer richtigen Investition durch die Stadt zeugt. Die starke Stadt im Spätmittelalter ist also nicht nur eine durch die Stadtmauer befestigte Stadt, sondern auch und nun vor allem eine mobile und aussenpolitisch aktive und gut informierte Stadt, die zeitlich, räumlich und represäntativ den Nachrichten- und Botenverkehr zu beherrschen weiss: wehe dem schlechten Boten aber auch wehe der schlecht informierten Stadt! Die Kommunikation bedeutet für die Stadt gleichzeitig Macht und Repräsentation.

In dieser Hinsicht sind nicht alle Städte gleich, entweder weil manche einer solchen Politik nicht folgen oder weil andere diese neue Notwendigkeit nicht wahrnehmen können oder wollen. So kann man eine selektive Dynamik der Wirksamkeit einer Informationspolitik und einer Aussentätigkeit unter den Städten feststellen. Es kann festgestellt werden, dass die Beschleunigung des Nachrichten- und Gesandtenverkehrs zugunsten einiger Städte mit einer gewissen Spezialisierung und einer beginnenden Professionnalisierung des nach Aussen geschickten Personals, insgesamt mit einer auswärtsgerichteten und besser visualisierten Dienstleistungskultur verbunden war. Die gute Beherrschung der Kommunikation im Raum wird ja zum Faktor nicht nur einer zentralörtlichen sondern vielmehr einer hauptstädtischen Funktion.

Diese Entwicklung sollte unserer Meinung nach nicht von zwei parallelen Phänomenen getrennt werden: einerseits der Bestrebung der spätmittelalterlichen Stadt, die verschiedenen Mobilitätsformen in Kategorien einzuordnen, zu bewerten und zu disziplinieren; andererseits der engen Verbindung zwischen räumlicher Verdichtung und politischer Wirksamkeit. Der Grad der Präsenz und des Engagements in der Aussenpolitik hat im spätmittelalterlichen polyzentrischen Reich die städtische Hierarchie gleichzeitig verfestigt und umgestaltet, weil diese Hierarchie nicht mehr ausschliesslich auf rein wirtschaftlichen, sondern auch auf innen- und aussenpolitischen Faktoren beruhte. Für die Städte war hiermit gewiss die Zeit der immobilen und kostenlosen Teilnahme am Heiligen Römischen Reich endgültig vorbei.

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